Nicht witzig. Echt nicht.




Jetzt bin ich schon in einem Alter, in dem man nostalgisch zurückblickt in seine Jugend, in seine Kindheit. Man tendiert dazu, 70er Partys zu veranstalten, Vintage-Kleidung zu tragen, sich nach den Süßigkeiten von damals zu sehnen, Sprüche über die „wahre Kindheit“ zu liken, die Musik von anno dazumal zu hören und so manchen Kalenderspruch als Lebensweisheit gutzuheißen. Da war die Welt noch in Ordnung.

Ach, wie war das damals aufregend, wenn man eine „Strahler80“-Zahncreme-Werbung sah, was die einem nicht alles versprach, was im Leben noch verheißungsvoll auf einen zukommen würde „so ein Strahlerkuss ist ein Hochgenuss“, hieß es da. Und die Femina-Slipeinlagen waren „selbstklebend und anschmiegsam“, der Bac-Deo-Stift versprach Frische für dich und mich („mein Bac, dein Bac“), die Haare band man sich mit einem schlichten Gummiringerl zusammen und schon war man frisiert. Vor der grün-braun gemusterten Kugel-Blumen-Tapete flimmerte „Familie Petz“ in FS1, dazu gab’s Krachmandeln zum Naschen und am Ende eines Tages verabschiedete man sich von seinen Freunden mit einem flapsigen „bis morgen um drei – in der Vogelscheißerei“. Danach hockte man sich zu seinem Rekorder und nahm ein paar Lieder auf Kassette auf, gestaltete sich also kreativ seinen eigenen Mix. Eine unschuldige Zeit, kein Gehetze, kein Gejammer, kein Corona-Virus, eine paradiesische Epoche.

Na ja, und dann war da ja noch wer…. ähm…. also, das ist jetzt nicht witzig. Echt nicht. Also bitte nicht lachen. Ich trau es mich fast nicht zu erwähnen. Mich begleiteten damals zwei schwarze, ca. 15 cm große Strichmännchen: Frau Krönlein und Frau Spinada. Niemand konnte sie sehen. Nur ich. Die waren wirklich da. Ich schwörrrrrre. Sie sprangen meist fröhlich im Türöffner der Küchenkredenz herum, das war so eine lange Schiene, da konnten sie selbst tanzend nicht rausfallen. Die waren immer sehr beschwingt, manchmal gingen sie auch auf der Dorfstraße mit mir mit und kletterten mit einer ungemeinen Leichtigkeit auf die Fensterbänke diverser Häuser. Frau Spinada hatte ein Kleid an, Frau Krönlein war nackt. Nur so zur Info. Und meine Mutter hatte große Sorge um meine geistige Gesundheit. Auch nur so zur Info. Aber witzig war das echt nicht.

Na ja, und jetzt eben, in der Gegenwart, also jetzt unlängst, mit 50, also in einem durchaus reifen Alter …. ähm ….lüfte ich morgens mein Schlafzimmerfenster und da huscht was Schwarzes, ganz Zartes, etwas Leichtes, Beschwingtes seitlich rein und ehe ich mich verseh, sind die zwei wieder da: Frau Krönlein und Frau Spinada. In meinem Schlafzimmer. Mit 50. In der Früh beim Lüften. Das ist nicht witzig. Echt nicht. Das darf ich gar niemandem erzählen, denk ich mir und verbringe halt einige Zeit mit den beiden. Die zipfen mich aber bald an. Brauch ich die eigentlich jetzt immer noch? Was die können, das kann ich allein schon lang, schießt es mir durch mein friedhofsblondes Kopferl. Beschwingt durchs Leben hüpfen, nackt, wenn’s sein muss, das Krönlein richten und tanzen. Das kann ich auch, da brauch ich die zwei nicht, das hab ich nun erkannt. Ich schicke sie weg. Ich will sie nicht mehr. Echt nicht.



Und im Übrigen: die Zeit damals war gar nicht sooo herrlich, denn die Strahlerküsse waren nicht immer Hochgenüsse, die Slipeinlagen schmiegten sich gar nirgends an, sondern verrutschten widerborstig im Höschen und wenn man Pech hatte, kamen sie bei den Socken wieder ans Tageslicht, der Bac-Stift verklebte mit Aluminium die Drüsen samt üppig sprießendem Achselhaar und die Gummiringerl zerfraßen einem die Zöpfe. Die Krachmandeln machten einen wunden Gaumen, der Großvater vom Petz war ein bösartiger Tyrann mit patriarchischen Erziehungsmethoden ohne Herz, die Tapeten schauten grauenvoll aus und ließen bei näherer Betrachtung eine unfassbare innerliche Unruhe entstehen. Aus den Musikkassetten löste sich immer und immer wieder das Band und wenn man den Song auch mal von Anfang an erwischte, konnte man sicher sein, dass der Udo Huber nach ein paar Takten wieder reinquatscht. Und war es damals auch kein Corona-Virus, so war es die Tollwut, die uns dazu veranlasste, im Haus zu bleiben, wenn man einen streunenden Hund sah oder gar im Wald einen Fuchs. Quarantäne in den 70ern.
Und unter uns: was eine „Vogelscheißerei“ ist, ist mir bis heute auch ein Rätsel. Vielleicht wissen Frau Krönlein und Frau Spinada das. Ich werd sie bei Gelegenheit mal fragen

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