Schwangerschafts-Zahnarzt-Röntgen


Heutige Erkenntnis:

Man ist alt, wenn man als Frau vor dem Röntgen nicht mehr gefragt wird, ob man eine mögliche Schwangerschaft ausschließen könne.


Ich werde nicht gefragt. Nicht einmal eine Andeutung wird gemacht, als ich heute beim Zahnarzt hinter das Panorama-Gerät gestellt und mir der schwere Bleischurz umgehängt wird. Nicht der leiseste Hinweis. Im Gegenteil: recht schroff geht man mit mir um, lässt mich auf einen schwarzen Plastikzweig beißen und fixiert meinen Kopf mit zwei schwarzen Ringen, die man um meine Backen zurrt, bevor das Gerät munter um mich herumkreist und meine Haare mitzuschleifen und in einen Innenrotationswirbel zu verwickeln droht. Ich solle stillstehen und Augen und Lippen schließen, gibt man mir als Anweisung, was schon alleine eine gewisse Herausforderung darstellt, da ich mit Gleichgewichtsproblemen zu kämpfen habe. Gelegentlich auf jeden Fall. Wenn ich ein Schlückchen zu viel trinke oder wenn ich auf Kommando stillstehen sollte. Und auch noch kerzengerade.

Eine Hebamme ...

in den düsteren End-Sechziger Jahren war offenbar nicht ganz bei der Sache und verwechselte Fontanelle mit Anus, zog sich während meiner Menschwerdung mit einer Tasse Tee zurück in ihr Schwesternkammerl und überließ mich dem Schicksal und nicht einem Chirurgen, der vielleicht durch einen kaiserlichen Eingriff das Schlimmste hätte verhindern können. Mein Kopf ist sozusagen bloß eine Sicherheitskopie von meinem Gesäß. Spastische Parese, rechts betont. Dachschaden sozusagen. Seitdem fällt es mir schwer, gerade zu stehen. Und zu sitzen. Und zu gehen. Und nicht nur wenn ich besagtes Schlückchen zu viel habe. Und Tee mag ich auch keinen. Seit jenem unglücklichen Vorfall, der im Schwesternzimmer mit einem unüberlegten Heißgetränk seinen Lauf nahm.

Aber ich reiß mich zusammen -

beim Zahnarzt, schließe brav meine blauen Äuglein und meine Lippen und habe gar keinen Gedanken ans Umfallen, denn viel nervöser macht mich dieser Panorama-Drehflügel, der, wie gesagt, meine Mähne einzusaugen droht. Damit hatten die dort nicht gerechnet. Niemals! Mit so einem Lockenkopf, einem von Kraft strotzenden Wirbelkopf in blond. Na ja, friedhofsblond, um ehrlich zu sein. Ein paar Strähnchen sind da schon dabei, die laut Goethes Farbenlehre im eigentlichen Sinn per se gar keine Farbe mehr ergeben, sondern bloß die hellste Abstufung einer jeden Couleur sind. Bald jedoch kommt das erlösende Piepsen, bevor ich haartechnisch in Panik ausbreche. Ich werde befreit und direttissima auf den Marterstuhl gebeten, wo es nicht lange dauert, bis sich der Arzt mit seinen Latex-Handschuhen in meine Mundhöhle gräbt. Mit dabei hat er Spitzharken, Messer, Schwerter und Lanzen. So kommt es mir auf jeden Fall vor. Ich bin da ja ein wenig eigen.

Man zupft ja recht viel an mir herum.

Immer schon. Man zupft mich an der Schulter nach links, weil ich rechtslastig stehe, man drückt mir in den Hals, weil der Nacken verspannt ist, man schiebt mein Becken nach vorne und wieder zurück, weil ihnen die Stellung nicht gefällt. Nein, nicht das, wonach es vielleicht jetzt klingen mag. Bin unbemannt. Und eine Schwangerschaft ist absolut auszuschließen. Deshalb und ausschließlich deshalb. Nicht weil ich schon zu alt wäre – neeeeein! Ich habe auch schon etliche hinter mir. Schwangerschaften, meine ich. Drei, um genau zu sein. Die beste Legehenne im Stall. Und freue mich, mich eine „proud mum“ nennen zu dürfen. Auch da haben sie an mir rumgezupft. Überall reingeschaut. Mit Latexhandschuhen hantiert, mit Lanzen, Schwertern und Pfeilen. So schien es wenigstens. Aber die durften das: Hebammen, Ärzte, Physiotherapeuten, Masseure – zupf, zupf, zurr, zurr. Die dürfen das. Doch dieser Zahnarzt! Im Mund! Mit Latexhandschuhen! O nein, o nein. Das geht gar nicht. Ich möchte mich wehren, irgendwie Kontakt mit diesem Typen aufnehmen, doch umsonst. Er setzt unbeirrt sein Werk fort, das, so komme ich später dahinter, lediglich aus Zahnsteinabschleifen besteht und keinerlei Grund zur Panik bieten würde. Normalerweise. Aber ich bin da ja ein wenig eigen.

Bilder erscheinen,...

wie man mich schon quälte, ohne dass ich etwas mitbekommen hätte. Aber man kann ja ein wenig übertreiben und auftrumpfen. Kaiserschnitte, Knieprothese. Da hat man mir den Knochen abgesägt. Einfach abgesägt. Der ist nicht mehr da. Unwiederbringlich verloren. Der Gedanke daran lässt mich erschaudern. Aber ich kann wenigstens wieder schmerzfrei gehen, seit jener Geschichte. Ich will also nicht klagen, nicht die Welt zumüllen mit düsteren, längst vergangenen Geschichten, den „richtigen Wolf füttern“, wie es so schön heißt. Und freudig meinen Alltag genießen. Wäre da nur nicht dieser Zahnarzt. Seit Wochen fürchte ich mich vor diesem Termin, die Kinder nehmen es locker: strahlend weiße Zähne. Doch mein Bergwerk lässt mich immer wieder zaudern und bangen.

Erst als mir der Arzt seine Latexhandschuh-Hand entgegenhält und sich freundlich von mir verabschiedet, habe auch ich verstanden, dass es vorüber ist. Alles ist vorüber. Ich habe wieder einmal eine Zahnsteinentfernung ohne Anästhesie überlebt. Ach, was bin ich doch guuuut!

Aber offensichtlich alt.

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