Die Geister, die ich rief


Einladung zum Weihnachtsessen. Diesmal bei Tantchen. Das ist neu. Das hatten wir noch nie. Meine Eltern, meine Kinder und ich. Tantchen ist in Fahrt und begrüßt uns gleich bei der üppig geschmückten Eingangstür mit einem lustigen Rentiergeweih. Sie sei ein nordischer Typ, ihr passe dies besonders gut, beginnt sie ihre Festrede, nachdem sie uns ebenso lustige Filzpatschen mit roten Rudi-Rentiernasen auf der Großzehenaußenseite offeriert und uns in die gute Stube bittet, wo es nach Leberknödelsuppe und Schweinsbraten duftet. Das mit dem Essen ist in unserer Familie ja so eine Sache: ein paar mimen die Veggies, ein paar essen nichts, was braun ist, ein paar können nix mehr beißen, was härter als Zuckerwatte ist und wieder andere (Überschneidungen und Mehrfachnennungen sind durchaus möglich) bekommen exakt 16 Minuten nach dem Verzehr von Milch, Fleisch oder Gemüse Flatulenzen, dass die Älteren unter uns an die Bombenangriffe von 1940 erinnert werden. Den Teufel werd ich tun und nun verraten, wer welche Rolle hat, doch es sei dem Leser versichert, dass keiner der Verwandtschaft sich so recht wohl fühlt bei dem Gedanken, sich nun die Lebergeschosse und den zähen Braten von Tantchen einverleiben zu müssen.

Die Konversation bei Tisch sieht folgendermaßen aus: Tantchen und Opa führen das Regiment und sinnieren über alte Zeiten. Wie einfach und schön Weihnachten doch damals war, wie rührend, wenn die Tiere in den Raunächten sprechen konnten … oder verwechsle ich da jetzt was …. Ich kann mich gar nicht konzentrieren, weil ich versuche, den Braten von einer Backe zu anderen zu schieben und kauend in meinen Schlund zu verfrachten. Doch dieses zähe Viech will und will nicht aufgeben.

Irgendwas erzählen sie also von den Raunächten und dass man da nichts aufhängen darf: vom simplen Geschirrtuch und Topflappen bis hin zu - Gott bewahre – einer Wäsche! Da verfangen sich die bösen Geister und die richten dann das ganze Jahr über Unheil an. Uje! Und ich hab heut am Vormittag noch fleißig gewaschen. Life must go on - Raunächte und Geister hin oder her.

Doch da hab ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Geister arbeiten sich offensichtlich bereits gnadenlos vorwärts: von der Leberknödelsuppe bis zum Schweindl.

Meine Jungs verziehen das Gesicht, sie werfen sich einen Blick zu, der alles sagt, und stochern im Braten herum, während meine Tochter offensichtlich ohne Erfolg unterm Tisch mit ihrem Handy Snapchats vom Essen zu machen versucht, um es mit ihren Freunden zu teilen und dabei Mitleid zu schinden. Doch sie verheddert sich in der Tischdecke, die bei Tantchen zu den Festtagen 3-lagig aufgespannt ist und hat große Mühe, ihr Telefon wieder aus der Filethäkelei herauszuschälen.

Die Geister tun ihr Werk.

Auch bei mir läuft die Sache nicht runder, denn ich jage das Schweindl noch immer in meinem Mund ohne jeglichen Erfolg von links nach rechts und von rechts nach links. Während ich mit einem leichten Würgereflex kämpfe, patzt mir Tantchen noch ein Stück auf meinen Teller und beginnt zu erzählen, welch juckende, blutende Flecken sich zwischen ihren Brüsten das Jahr über eingeschlichen hätten. Dazu reißt sie plötzlich ihr Rüschenblüschen hoch und zeigt uns allen ihren Jucke-Kobold. Die Jungs haben für heute fertiggegessen, nur meine Mutter zeigt großes Interesse an Tantchens Balkon und wartet mit einer Liste an Arzneimitteln aus ihrem Garten auf, nichts spart sie aus, von Ringelblumen und Arnika bis Johanniskraut und Soiferl (=Salbei). Mein Töchterchen legt für ein paar Augenblicke ihr Handy nieder und mein Vater erinnert sich verklärt an Weihnachten 1945.

Ich glaub, die Wäschegeister machen gerade volle Arbeit. So muss es sein.

Dann aber kommt das Schöne: die Bescherung. Tantchen hat den Raum versperrt, ganz feierlich macht sie es, als ob eines meiner Kinder da noch neugierig wäre und alleine unentdeckt stöbern gehen würde. Aber sie besteht darauf. Sie zündet die Kerzen an, die etwas schief am noch schieferen Baum wackeln und läutet mit Inbrunst ein Glöckchen, auf dass wir uns vom Esstisch erheben und gen Wohnzimmer schreiten. Die ersten Flatulenzen lösen sich aus zwei Popscherln – und auch hier werd ich den Teufel tun und verraten, welche Gesäße es waren, obwohl ich auf Toilettensprache stehe, das gebe ich echt zu. Ohne Sch…ß.

Man entschuldigt sich, die Kinder lachen und nehmen derlei Blähungen und Tantchens Striptease von vorhin offensichtlich zum Anlass, auch selbst sämtliche Hemmungen fallen zu lassen. Die Geister arbeiten anscheinend bereits auf Hochtouren: Bei den nachfolgenden, von uns krächzend interpretierten Liedern tauchen einige Mutationen aus ihren Mündern auf. So wird aus „leise rieselt der Schnee, still und starr ruht der See“ ein „leise pieselt das Reh in den Neusiedlersee“ und aus „Kling Glöckchen Klingelingeling“ wird „Niemand wird es wagen Schalke jetzt zu schlagen, jeder muss es wissen, Stuttgart ist besch….en“

Die Geister haben wohl vor gar nix Respekt!

Die erste Kerze tropft mir auf die Hand und verbrennt kurz meinen Handrücken, was mich aufschreien lässt, doch Tantchen scheint dies wenig zu kümmern, sorgt sie sich doch viel mehr um ihre Fauteuillehne und holt flugs ein Toilettenpapier und ein Bügeleisen, um den Schaden möglichst gering zu halten.

Dann kramt sie in ihrem Wäscheschrank und zaubert einige „Ableger“ hervor, während sie sich mit Opa über die Verstorbenen der letzten Wochen und – was ihr noch mehr Erregung zu bereiten scheint – über die unheilbar Kranken des Ortes unterhält. Währenddessen überreicht sie mir einen ganzen Pack an alten Blusen und Unterleibchen mit einem Augenzwinkern und dem Vermerk, dass ich doch Vintage-Sachen so gerne hätte und sie mir diese nun – mit warmen Händen, wie sie betont - vererben würde.

Oh Geister, bleibt wo ihr seid!

Ich mache gute Miene zum bösen Spiel und probiere ein paar Kleidungsstücke an, um Tantchen zu zeigen, wie gut sie mir stehen und muss entdecken, dass diese dermaßen jucken und auf der Haut scheuern, dass ich mich alleine bei dieser kurzen Modeschau schon blutig kratze. Da haben sich wohl sämtliche Geister der ganzen Ortschaft drin verfangen, schießt es mir durch mein friedhofsblondes Kopferl und ich komme langsam dahinter, dass es sich dabei ausschließlich um jene Wäsche handelt, die sie im Vorjahr unvorsichtigerweise so zwischen 25. Dezember und 6. Jänner gewaschen und provokativ zum Trocknen aufgehängt hatte. So ein falsches Luder, dieses Tantchen!

Schließlich verabschieden wir uns bei gutem Wind und ich empfehle Tantchen einen Weichspüler. Den mit den Faserschmeichlern. Dann klappt’s auch mit den Geistern und Kobolden – ohne Soiferl und Ringelblumen.

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