Kalorien sind doch diese Tierchen...


….die nachts die Kleidung enger nähen, oder?
Man lernt jemanden ja nicht am Anfang einer Beziehung so richtig kennen, sondern erst am Ende, heißt es – und ich kann echt ein Lied davon singen. Wie kommt’s?

Essenseinladung meinerseits im Freundeskreis: es kommt ein Häufchen Leute, die bis jetzt wenig auffällig bei ihrer Nahrungsaufnahme waren, doch von nun an sollte alles anders sein. Vier hüpfen schon, enthusiastisch auf ihre neue Fitness-Uhr blickend, bei den Eingangsstiegen herauf, als ob sie für ein Steinbock-Ranking kandidieren wollten und sind enttäuscht, dass sie heute erst 5.321 von den von der Uhr unverhohlen geforderten 12.000 Schritten geschafft haben. Drei der Gäste rümpfen die Nase über das von mir liebevoll gestaltete Gebäckskörberl und den dargebotenen Reis, weil sie ja von nun an eine „no carb“-Diät machen, zwei sind über Nacht strikte Veganer geworden und eine verbeißt sich anstatt in mein Essen in ihre Handy-App und fragt mir Löcher in Bauch, wo ich die Kartoffeln, das Henderl und den Salat gekauft hätte und wieviel Gramm davon nun auf ihrem Tellerchen liegen - sie müsse das auf der Stelle exakt in ihre Abnehm-App eintragen, damit dort ausgerechnet werden könne, wieviel sie heute noch essen dürfe. Zwei Leute sind plötzlich gluten-, histamin- und laktoseintolerant, der Rest rührt keinen Alk mehr an und eine schwafelt was von einem Eiweiß-Brot, um die leeren Speicher wieder aufzufüllen. Oral-Verkehr hat den selben Effekt - verkneif ich mir noch, bevor die Sache so richtig zu eskalieren beginnt: die vier Fitness-Uhren fangen während des Essens nämlich an, laut zu piepsen und in Neonschrift den Befehl „Los!“ von sich zu geben, was meine Gäste veranlasst, abrupt den Tisch zu verlassen und 12x meine Stiege ins Obergeschoß auf und ab zu rennen. Ja, bin ich denn jetzt in der Hölle gelandet?

Ich esse ja für mein Leben gern und ignoriere seit Jahren etwaige mir attestierte Allergien erfolgreich – da pups ich mich lieber durch den Tag und sitze mit dunkelrot gefärbten Wangen nach einem Gläschen Rotwein am Abend auf der Terrasse, um danach erleichtert den Hosenbund zu öffnen, weil mein Baucherl schon ziemlich zwickt. Die Hosen werden ja schließlich nicht durch Gewichtszunahme, sondern beim Waschen immer enger – das weiß man ja….

Essen tu ich viermal am Tag. Wenn ich nicht alle paar Stunden was zwischen die Beißerchen bekomm, werde ich zu Diva und doch juckt es mich nun, auch mal die eigenen Essensgewohnheiten ein bisschen unter die Lupe zu nehmen, weshalb ich mir – ich gebe es zu - eine Abnehm-App auf meinem Handy installiere. Ich gebe als Ziel an, „mein Gewicht halten“ zu wollen und trage ein paar Tage lang brav ein, was ich so alles in meinem Suppenschlitz verschwinden lasse. Dazu gebe ich Aktivitäten wie Spazieren gehen, Rad fahren oder Hausarbeit ein. Alles klappt bestens, ich staune, dass ich mit meinen vier Mahlzeiten gar nicht so daneben liege – na gut, die Kohlenhydrate sind immer ein bisschen am Limit, aber Fett und Eiweiß sind gut angelegt. Die App fordert mich manchmal dazwischen auf, ein Gläschen Wasser zu trinken, dann lobt sie mich wieder mit einem Daumen-hoch-Zeichen, dass ich so gut bin und motiviert mich, doch weiter am Ball zu bleiben. Die Beziehung mit meiner App läuft also wie am Schnürchen. Jetzt. Am Anfang. Sie ist freundlich zu mir, ich gebe ihr, was sie sich wünscht, ich bin gewissenhaft in meinen Eintragungen, dafür bekomme ich viel Anerkennung von ihr. Eine win-win-Beziehung wie aus dem Bilderbuch. Jetzt noch…

Doch irgendwann reicht es mir mit der Eintipp-Disziplin und schon geht das Dilemma los: „Du hast vergessen, dein Mittagessen einzutragen“, „hast du heute noch gar kein Wasser getrunken?“ und „werde aktiv und geh doch ein bisschen Drachenfliegen, Bungee Jumping oder Angeln. Du verbrauchst dabei insgesamt 260 kcal, wenn du bei allen Tätigkeiten 30 Minuten durchhältst“ sind noch die freundlicheren Meldungen, die ich bald von meiner App bekomm. Ha! Wenn die wüsste! Wenn ich Bungee-jumpen würde – noch dazu eine halbe Stunde lang! – wäre ich entweder auf einer „happy-ranch“, vollgepumpt mit 32 Tranquilizern oder im kühlen Grab. Sch… auf meine zwickende Hose!

Aber die App gibt nicht auf und wird immer penetranter: „fahre eine halbe Stunde mit deinem Einrad und verbrauche 144 kcal“ oder „geh für 101 kcal mit deinem Hund spazieren“ folgt auf den Fuß. Jetzt werd ich aber langsam grantig. Habe ich denn einen Hund? Habe ich denn ein Einrad und falls ja, könnte ich mit meinen Gleichgewichtsproblemen in irgendeiner Weise darauf in der Vertikalen bleiben? Man kann mir nicht irgendwelche Sachen befehlen, die mir unmöglich sind auszuführen. Das ist ungut mit dieser App. Immer wieder ein neues Pop-up: „Du hast vergessen, deinen Snack einzutragen“, „fälle für 153 kcal 30 Minuten lang einen Baum oder arbeite für 87 kcal in deinem Garten“. Das ist ja ein Eingriff in meine Privatsphäre! Was geht diese App mein Garten an? Natürlich schaut der hie und da aus wie Kraut und Rüben, aber man muss die Natur ja schließlich auch mal machen lassen…

In den nächsten Tagen zwingt sie mich des Weiteren zum Boxen mit einem Sparringpartner (153 kcal), zum Skydiving (110 kcal) und Wrestling (173 kcal), fragt alle 2 Stunden nach, was ich getrunken habe und schickt schließlich ein Tränensmiley mit „ich bin enttäuscht von dir – gib nicht auf“. Jetzt kommt sie mir mit DIESER Tour. Tränendrückerdrüse und auf Mitleid schinden. Wenn ich sowas schon seh!

Und dann, ja dann kommt der Punkt für mich, an dem sie zu weit geht: „hattest du heute schon Sex für 52 kcal, wenig aktiven Sex für 38 oder aktiven Sex für 82 kcal? Investiere doch mal bloß 30 Minuten dafür!“ Was geht denn diese App mein Sexualleben an? Ob ich dalieg wie ein nasser Fetzen oder im Bett wie ein Springingal bin? Jetzt lösche ich aber dieses versaute Luder und stopfe weiter Kohlenhydrate in mich hinein, in der Hoffnung, bei Gelegenheit trotzdem noch recht schnell aus meiner viel zu engen Hose zu kommen…

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