Be my valentine - Speed Dating


Speed Dating – Be my valentine


In meiner Umgebung findet derzeit ein extremer Männerschwund statt: in jedem 2. Haus ist einer verschwunden – und das in Wirklichkeit, nicht nur statistisch. Sie wurden dahingerafft durch Scheidung, Trennung oder Rauswurf von Seiten des schwachen Geschlechts; kein einziger ist eines natürlichen Todes gestorben, im Gegenteil, sie sind alle bei bester Gesundheit – aber einfach eben nicht mehr da. Die Ämter und Behörden prosperieren durch die Einhebung von unzähligen Gebühren und Abgaben, um den formellen Schlussstrich zu setzen und haben ihre hellste Freude daran. Nicht so erfreut sind die hinterbliebenen Damen in ihren großen Häusern mit ihren gebrochenen Herzen. Aber dem kann man ja Abhilfe schaffen, weshalb einige bald nach ihrem schweren Verlust beschließen, am Valentinstag zu einem Speed-Dating zu gehen. Und ich geh natürlich mit.

Wir sind zu dritt, wir sind gestylt, wir sind bereit. Na ja, zu dritt sind wir. Das steht fest. Das mit dem Styling ist ja so eine Sache, vor allem bei mir, die mehr dem Wolldesign und gemütlichen Waldviertler Schuhen zuspricht als einem zeitgemäßen Fashion-Look. Und bereit? Nach außen hin, ja. Da müssen wir jetzt durch. Man muss sich den Markt ja wenigstens mal anschauen. Frischfleisch beschnuppern, auch wenn wir alle drei noch heimlich den guten, alten Zeiten nachheulen und alles am besten so geblieben wäre, wie zwei Wochen nach dem ersten Schäferstündchen. Jojojojo… ich weiß, das will jeder und entbehrt eh jeglicher Realität…

Zeit für Frischfleisch!


Wir setzen uns ins örtliche Veranstaltungszentrum jede an einen einsamen Tisch mit noch einem einsamen Sesserl und warten aufgeregt. Dann marschiert das Frischfleisch ein. Mehr oder minder pfundige Kerle, da fehlt’s an nix.

Ich empfange den Ersten, ein hochgewachsener, bierbaucherltragender Mittvierziger mit schütterem Haupthaar und Intellektuellenbrille. Er hat Schwitzehände, erzählt mir von politischen Unruhen im Baskenland und fragt mich nach meiner Meinung dazu. Jetzt schwitze ICH. Wo, um alles in der Welt, ist das Baskenland? Ich kenne eine Baskenmütze. Vielleicht bin ich modisch gar nicht so daneben, denke ich mir noch direkt ein bisschen stolz, bevor mich wieder Geographie und Politik auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Ich stottere herum, mache ein paar unpassende Witze, hoffe, dass die Zeit bald um ist. Ist sie nicht. Es geht weiter. Er beginnt über Zuma zu reden, ich nicke betroffen. Hat der jetzt Zumba gesagt? Will der jetzt allen Ernstes mit mir über Zumba reden oder gar noch in irgendeinen Kurs gehen? Oder ist er mit seinen Gedanken in Südafrika – fährt mir noch ein Geistesblitz durch mein Blondinenhaupt.  Doch es ist zu spät. Er entschuldigt sich, da er offensichtlich doch erkennt, dass man mit mir hier nicht weit kommt, Politik, Geographie und Geschichte seien seine Steckenpferde, dafür sei er Feuer und Flamme. Das ist grundsätzlich ja nicht schlecht, wenn einer für eine Sache brennt, denk ich mir noch und dann ertönt die erlösende Pausenglocke.Zeit für die Jungs, einen Tisch nachzurücken.

Des Pudels Kern an Lebensweisheit


Meine zwei Mitstreiterinnnen und ich werfen uns verstohlene Blicke zu und schon sitzt mir der nächste Bursche gegenüber: Markenkleidung, Sonnenbrille am Kopf, Gel in den Haaren. Er erzählt mir in den ersten drei Sätzen, dass ihn seine Arbeit anzipft, dass die Ausländer und die Regierung an allem schuld seien und dass er ein hochpreisiges Auto besitze. Uje! Aber er freue sich jedes Jahr auf seinen Urlaub im Ausland, denn da gönne er sich schon mal was. Und noch einmal: Uje! Wie krieg ich den wieder los und vor allem: was erzähl ich dem jetzt von mir? Dass ich arbeitslos, geschieden und behindert bin und daran sicher kein einziger Ausländer schuld ist. Dass ein Auto für mich von A nach B fahren muss und sonst auch schon gar nix. Und dass es schade um die Lebenszeit ist, wenn man nur für seine 5 Wochen Urlaub im Jahr lebt. Nein, das sag ich natürlich nicht! Sondern im Gegenteil: ich nicke mitfühlend und betroffen und freue mich auf den nächsten, aber das kann dauern… der Gelbursche hält weiterhin sein Referat über sein engstirniges, armseliges Spießerleben, wobei erwähnt sei, dass er dafür weder für den Friedens-, noch für den Literaturnobelpreis nominiert werden würde, das steht schon mal fest. Ich sage nicht viel dazu, man will sich ja nicht die Zunge unnötig verbrennen, doch es kocht in mir. Der Flirtpegel ist unter Null, die Verzweiflung auf dem Höhepunkt. Die erlösende Glocke beschert mir den nächsten:

Speed and fun(ction)


Ein Bild von einem Mann! Braungebrannt, sportlich, Funktionskleidung, Bart. Seine Augen strahlen, sein Händedruck ist fest, er ist ein Schneller, verliert keine Zeit. Wenn er spricht, überlappen sich teilweise die Wörter, ich kann ihm schlecht folgen. Aber es kommt eigentlich eh nur Dampf heraus. Am Anfang will er noch wissen, wie viele Bergtouren ich schon gemacht habe, ob ich schon mal Kitesurfen war und welchen Ruhepuls ich besitze. Momentan zirka 120, weil der Typ reißt mich mit und macht mich mit seinem Tempo völlig nervös. Und dann fällt ihm gar nichts mehr ein. Zugegeben, ich mach’s ihm auch nicht leicht: ich erwähne kurz meine körperlichen Kalamitäten, ich sehe, wie ihm die Bräune aus dem Gesicht rutscht, aber ich versuche, das Thema umzulenken. Ich sei sehr wohl naturbegeistert, hätte einen schönen Garten, würde kleinere Radtouren unternehmen, würde gerne fotografieren oder auch mal nur zuhause auf der faulen Haut liegen. Wusch. Dann war’s auch schon aus mit dem Redeschwall meines Gegenübers. Ich komme mir blöd vor. Er sich offensichtlich auch. Er starrt auf sein Handy, wischt herum, schreibt. Er schreibt! Neben mir, mitten im Gespräch… ähm… also mitten im Schweigen beginnt der einfach zu schreiben. Er entschuldigt sich, denn er müsse dies jetzt unbedingt beantworten. Dann wieder peinliches Schweigen. Die 7 Minuten Kennenlernzeit werden zu gefühlten 7 Stunden. Dann ist er weg. So schnell wie er gekommen ist.

Ich blicke noch einmal hilflos zu meinen Mädels, die alle schon freudig erregt mit roten Backen dasitzen – mir kommt sogar vor, ich sehe Herzen in ihren Augen. Das kann aber auch täuschen, ich sehe ja immerhin überall Herzen.

Im Zuchthaus


Der vierte Mann schleicht zu meinem Tisch, ein schlaksiger Typ mit stechend blauen Augen und einem schelmischen Lächeln. Sein Hemd ist fast bis zum Nabel offen, er präsentiert mir stolz seine komplett rasierte Brust, seinen Kopf hält er schief, er begutachtet mich, macht mir gleich ein Kompliment: ich hätte so schöne lange Hände, da könne er sich gut vorstellen, was die alles bei ihm anstellen würden. Schluck. Er grinst überlegen, erzählt ein bisschen von seiner Arbeit als Verkäufer, und erwähnt, dass er in seiner Freizeit gerne fotografiert. Oh, eine Gemeinsamkeit, wie schön! Doch er kommt bald zum Punkt: Er hätte beobachtet, dass wir zu dritt gekommen wären, meine Mädels gefielen ihm auch sehr, wir könnten doch mal eine Fotosession machen. Gerne ginge er dazu in den Wald und rate den Damen, sich nur spärlich zu bekleiden. Mir wird heiß. Ich brauche meine Strick-Seelenwärmer und meine dicken Schuhe, sonst komm ich nicht mit in den Wald. Das denk ich mir aber nur, sagen tu ich nicht mehr viel, dafür geht er gleich in medias res: ob ich denn rasiert sei, denn eigentlich würde er den vollen Busch bevorzugen, bei Frauen auf jeden Fall, selber aber würde er jedes Härchen kopfabwärts bekämpfen und töten. Und ob ich denn immer brav gewesen sei, sonst wüsste er schon ein paar Methoden zur Züchtigung. Ich hätte doch wohl wenigstens den Film mit den Shades gesehen, so blauäugig könne ich doch gar nicht tun, dass ich von solchen Dingen keine Ahnung hätte und er würde mir das schon richtig beibringen. Nein, danke. Wir können ja mal ein paar Blumen in meinem Garten fotografieren, schlage ich zur Güte vor, doch das gefällt ihm weniger. Es läutet. Dem Himmel sei Dank!

Und was passiert dann? Nichts.


Es kommt keiner mehr an meinen Tisch. Um Gottes Willen. Jetzt hab ich die Herrschaften verärgert. Das kann doch nicht wahr sein, wieso passiert das immer nur mir? Alle anderen Damen unterhalten sich leidenschaftlich: die eine mit dem Sportlichen, bei ihr wischt er nicht auf seinem Handy herum. Und die andere sehe ich schon in eine heiße Diskussion verwickelt über das schwere Leben in einem Sozialstaat mit all seinen Ungerechtigkeiten.

Auch die restlichen Frauen werden von den übrigen Männern belabert, mir kommt vor, eine zeigt dem Sado-Maso-Nackt-Mädels-Fotografierer sogar ihre bewaldete Achsel.

Und bei mir? Keiner da. Niemand. Doch dann kommt der Speed-Dating-Leiter mit einem Zettel, den er mir stumm auf den Tisch legt. Darauf steht:

„Ich schreibe sehr gerne ein langes Gedicht.

Du bist so fein, ich bin es nicht.

Auch bist du keine Blede

Musste fort – stante pede.

Mama wurde krank.

Sie braucht mich, Gott sei Dank.

Wir sehen uns ganz sicher bald,

dein Herz ist warm, meins ist kalt.

Jetzt mach ich Schluss, sonst wird’s zu spät,

Küsschen, Grüßchen, Dein Poet.

P.S.: habe obiges Gedicht auf Facebook, Twitter und Instagram veröffentlicht und dafür 4 likes, 3 retweets und 5 Herzen bekommen, freue mich auf ein Wiedersehen mit Dir.“

JoWui! Das funzt! Ein geheimnisvoller Fremder, der mit Sprache äußerst gut umgehen kann, eine soziale Ader hat, weil er gut auf seine Mami schaut und auch noch präzise Menschenkenntnis besitzt, bescheiden und selbstreflektierend sowie intelligent ist. Der wär‘ was für mich! Er ist aber leider nicht da. Er würde auch niemals da sein. Aber das erfahre ich erst, als wir endlich das Veranstaltungszentrum verlassen dürfen.

Hobby-Veggie mit Hang zu Spinnweben


Es läutet nämlich doppelt und sehr laut – ein Zeichen, dass der Spuk vorbei ist. Die Fleischbeschau hat ein Ende, wir verabschieden uns freundlich und gehen zurück in unsere großen, leeren Häuser voller Träume.

Ich reflektiere kurz den heutigen Nachmittag und komme zur Erkenntnis, dass ich eigentlich ja gar kein Frischfleisch mag. Bin ja quasi Hobby-Vegetarierin. So beschließe ich, fürderhin nicht mehr auf die Suche zu gehen und mir an wenig genutzten Stellen meines Körpers flotte Spinnweben wachsen zu lassen.

Kommentare

  1. endlich Zeit für VALENTINs-Gefühle! Sehr unterhaltsam! Danke! Wie praktisch, wenn ich Dich Erfahrungen machen lassen und sie für mich bloß abhaken kann! Schmissig geschrieben! LGS

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Aber Sonntraut, Du kennst doch das weite Seelenland der Männer ohnehin in- und auswendig...
      Danke!

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Psychotherapie in der Schneiderei

Overthinking oder: die Gedanken sind frei.

Nachtblind - von Hasen und Karotten