FEHLTRITTE: so lernt man neue Leute kennen
Ich bin ja nun in einem Alter und in einer Position, wo ich nur mehr schwer neue Leute kennenlerne. Ich gehe weder in Discos, noch werde ich zu rauschenden Strandpartys eingeladen. Beim Discounter ums Eck sind auch immer die gleichen Gesichter und über meinen Gartenhang hat’s erst einmal einen B’soffenen mit spitzem Filzhut runtergeschmissen. Der war für eine Freundschaft nicht aufgeschlossen genug.
Was also tun?
Ich weiß es jetzt! Und ich werde mein Wissen hiermit teilen: man braucht bloß
ein paar Fehltritte machen. Wortwörtliche, natürlich. So geschehen jüngst nach meiner
Physiotherapie. Beschwingt und von meinen Kreuzschmerzen kurzfristig befreit,
tänzle ich leichtfüßig die Stiegen hinunter, mache den ersten Fehltritt, indem
ich auf der vorletzten Stufe mit dem linken Knöchel überknicke, kann mich nicht
mehr halten, verübe in der selben Sekunde den zweiten Fehltritt und überknöchle
mit dem rechten Fuß, so schnell kann ich gar nicht schauen. Ich komme schließlich
im Erdgeschoß unter den Augen eines geschockten Mannes, der eigentlich zur Zahnärztin
wollte, die sich im selben Gebäude befindet, mit ein paar lauten Schreien zum
Liegen. Durch die Geräuschkulisse aufgescheucht, erscheinen sogleich auch meine
Physiotherapeutin und die Rezeptionistin. Alle drei versuchen mich
hochzuziehen, aber ich pfauche in meinem ersten Schmerz vor allem den Mann
zurück, der mich sofort in die Höhe ziehen will, entschuldige mich dann aber
höflich bei ihm und versuche alleine auf die Beinchen oder zumindestens mit dem
Allerwertesten auf eine Stufe zu kommen. Der Mann seinerseits bittet wiederum
mich um die Erlaubnis, nun endlich seinen Zahnarzttermin wahrnehmen zu dürfen.
Ich willige ein und freue mich, einen starken Typen kennengelernt zu haben, der
keine Scheu hat, ordentlich anzupacken. Check.
Bald wird
klar, dass meine Knöchel immer mehr anschwellen, ich mich auf die Stiege legen
muss und sowohl die Heimfahrt mit meinem Rad als auch mit einem Taxi völlig
vergessen kann, weshalb meine Physiotherapeutin die Rettung zu rufen versucht.
Versucht, wohlbemerkt. Denn sie befindet sich ganze 4 Minuten in einer
Warteschleife und ich danke dem Himmel, dass bloß die Geschwülste mittlerweile
über beide Schuhe drüber wachsen und ich nicht etwa einen Herzinfarkt habe. Da
kann man ruhig mal auf einer Stiege liegen und warten. Und schließlich habe ich
auch eine recht passable Unterhose an, sonst hätte ich niemals zugestimmt, die
Rettung zu rufen.
Nachdem meine
Therapeutin dann jemanden erreicht, vergeht wieder ein Zeiterl – 48 Minuten, um
exakt zu sein - in denen sich die Rettung nicht blicken lässt, ich jedoch
wieder einige neue Leute kennenlerne. Ein paar wollen ins Obergeschoß und
steigen über mich drüber, ein paar schütteln den Kopf und nehmen den Lift,
während meine Therapeutin mit 2 tiefgekühlten Semmeln und 3 Scheiben Brot aus der
physiotherapeutischen Kühltruhe meine angeschwollenen, wie Feuer brennenden
Knöcheln kühlt. Die Rezeptionistin kümmert sich derweilen darum, dass ich zu trinken
und essen habe und füttert mich auf der Stiege wie ein aus dem Nest gefallenes
Vögelchen mit Wasser und kleinen Törtchen, die eigentlich ihre eigene Jause
gewesen wären. Ein WC-Besuch bei der Zahnärztin, den ich wie Herman Munster
absolviere, rundet das Rettungs-Wartevergnügen dann ab. Resümee: Rezeptionistin,
neue Zahnarztpraxis samt Personal und angsterfüllten Patienten und einige über
mich steigende Passanten näher kennengelernt. Check.
Die beiden
Rettungsmänner hieven mich auf einen Sessel, verfrachten mich ins Auto und
bringen mich ins LKH, wo ich weder einen 3G-Nachweis noch ein Handy habe, weil
ich ja nur eine Stunde zur Physio gehen wollte. Da brauche ich das alles ja
nicht mitnehmen. Ich habe keine Ahnung,
wie ich meinen Kindern Bescheid geben sollte, wo ich bin und was geschehen ist.
Aber das ist eine andere Geschichte…
In der
riesigen Ambulanz mit elendslangen Wartereihen angekommen, sagt der Ältere der
Rettungsmänner: „So, jetzt legen WIR uns da hin“, worauf ich ihm freudig
antworte: „Ah WIR? Legen SIE sich auch zu mir?“. Peinlich verlegen meint er: „Ja,
und den Kollegen nehmen wir auch mit.“ Ich bin gewillt zu sagen: „Auf einen Schweinekram
zu dritt hab ich jetzt aber wirklich keine Lust“, werde jedoch sofort auf den
Boden der Tatsachen zurückgeholt, als mich die zwei vom Tragesessel hochzerren,
ich nicht mehr fähig bin, auf meinen eigenen Füßen zu stehen und nach Halt greife.
An deren beiden Hosen, wohlbemerkt. Nicht etwa am Bett oder am Sessel, nein, an
deren Hosen! Fragt mich nicht, wo genau, mir fährt heute noch die Schamesröte
ins Gesicht, wenn ich daran denke…
Also: Zwei
nette Rettungsmänner kennen (und lieben) gelernt.
Dann geht es
Schlag auf Schlag. Eine Schwester führt mich ins Untersuchungszimmer, wo der
Eingipser viermal hin und her rennt, eine Pflegeassistentin 8-mal mit 16
Schachteln herumirrt, drei Ärzte mit 4 Handys vor sich hin labern und sich
schließlich eine Frau Doktor meiner erbarmt, mir die Schuhe mithilfe der Schwester
irgendwie auszieht, mich mit ihren Gummihandschuhen streichelt, um zu testen,
ob ich noch irgendwas spüre und mich mit einer Infusion von meinen schlimmsten
Schmerzen befreit.
Schon eine
Stunde später bin ich im Röntgen, die Damen sind sehr einfühlsam und beruhigen
mich erstmal, dass „die knöcherne Struktur in Ordnung sei“. Immerhin.
Medizinisches
Personal in allen Facetten kennengelernt. Check.
Und dann
kommt das große Warten, bei dem ich von meinem Gitterbett aus wieder sehr viele
neue Leute sehe: Sie gehen oder humpeln alle an meinem Bett vorbei, erblicken
erschrocken meine hochgelagerten, nackten, angeschwollenen Beinchen und wenden
sich erschüttert ab, weil sie alle ihr eigenes Pinkerl zu tragen haben: die
eine stampft wild mit dem Regenschirm in den Boden, weil sie schon 3 Stunden
wartet, der andere hat sich offensichtlich an seinem Arbeitsplatz den Finger
verletzt, sitzt in Montur und Helm da und wartet geduldig bis er behandelt wird,
der nächste rennt nervös mit seinem Kind auf und ab und einer kommt sogar hinkend
in Begleitung eines Polizisten, mit schweren Handschellen offensichtlich
handlungsunfähig gemacht. Den will ich, glaube ich, nicht näher kennen lernen. Die
anderen schon: check.
Einen
Rot-Kreuz-Mitarbeiter bitte ich, dass er meine Schuhe und Socken in dem Wirrwarr
sucht, er wird fündig und desinfiziert sich anschließend sehr lange seine Hände.
Die Mitarbeiterin von der Aufnahme leiht mir ihr Telefon, auf dem ich einen
einzigen Anruf tätigen darf an die einzige Nummer, die ich auswendig weiß: die meiner
Eltern. Sie setzen dann die Informationskette in Gang und schließlich erfahren
auch meine Kids, wo ihre Mami den ganzen Tag schon auf Lepschi ist und warum
die Küche heute kalt bleibt.
Ein Abschlußgespräch
mit der Ärztin und eine Fahrt mit einem Rollstuhl auf ein WC, wo die Helferin
vor der Tür lauert und jedes Geräusch akribisch nachvollzieht, runden meinen
Leute-Kennenlern-Marathon dann ab, die zwei Sanis, die mich nach Hause bringen,
nicht zu vergessen. Die wollten aber nicht viel mit mir reden, vielleicht hat
sich meine Aktion vom Vormittag mit ihren Kollegen schon herumgesprochen…
5 Stunden
später bin ich auch schon wieder zuhause, habe zwei blau-violette, stark
angeschwollene, funktionslose Füße, die ein bisschen aussehen wie Hansi
Hinterseers Moon Boots und werde die nächsten Tage … oder Wochen … damit
verbringen, meine gezerrten oder gerissenen Bänder hochgelagert und gekühlt
heilen zu lassen.
Aber macht
nix - Leute hab ich jetzt fürs Erste eh mal genug kennengelernt…
AntwortenLöschen... Ja auch bei Begegnungen mit Menschen gilt... Besser Qualität vor Quantität 🙃😊🙃...
Auf jeden Fall! ....Aber manchmal springt man halt unfreiwillig gleich in den ganzen Froschteich rein und malträtiert dabei seine Sprunggelenke. :-)
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