Just married


Der Fotoauftrag einer Freundin ereilt mich: sie heiratet! Ich wäre dazu prädestiniert, die Horde ihrer und ihres Liebsten Verwandtschaft auf ein paar Bildern zu verewigen, flötet sie mir zu, was mich sehr freut. Gerne nehme ich die Herausforderung an, kutschiere dazu in meine alte Heimat und bin sofort nach der offiziellen Zeremonie back to the roots: da werden gleich mal direttissimo nach dem Standesamt Braut und Bräutigam „entführt“. Dies gestaltet sich derlei, dass die Braut in einem schwarzen Auto mit 4 Männern in Krachledernen mit Feitl in der Tasche und mit Schnauzern in Gesicht verschwindet und mir vorher noch schnell zuruft, ich solle einfach dem Wagen folgen und Fotos machen. Leichter gesagt als getan. Noch nie bin ich mit einem solchen Affenzahn durch meinen Heimatort gedonnert, um nur das Entführungsfahrzeug nicht aus den Augen zu verlieren – geblitzt hat dann nicht mein Fotoapparat, sondern das Radar hinter der Johanneskapelle, welcher Heiliger hier übrigens auch noch Schnauzer trägt. Aber keine Krachlederne.

Mit letztem Rotz komme ich im Gasthaus an, die Männerhorde hat meine Freundin bereits in amikaler Umarmung durch die Eingangstür geschliffen, ich halte die Szenen für die Ewigkeit und natürlich für ihren Liebsten fotografisch fest. Dann wird bestellt, was das Zeug hält, Bier, Sekt, Schnaps – es gilt, so schnell wie möglich alles in sich hineinzuschütten. So will es das Gesetz.

Dann entern die Onkels und Tanten, die Neffen 3. Grades und die Cousins samt Nachbarn und Arbeitskollegen das Etablissement in weinseliger Laune und "lösen die Braut aus". Der Bräutigam hat Lippenstift-Kuss-Mündchen über den gesamten Kopf verstreut, ist von 2 Schönen untergehakt und lächelt verträumt vor sich hin. Ich halte auch dies für die Ewigkeit und natürlich für seine Liebste fest.

Inzwischen sind Stunden vergangen, doch es keimt ein kleiner Hoffnungsschimmer auf: der Zielort, ein Restaurant an einem Teich, wird angepeilt und ich werde unterrichtet, es sei nun Zeit, mit der romantischen Fotosession zu beginnen. Gesagt, getan: ich brülle mal über die Onkeln und Tanten hinweg zu den Neffen 3. Grades und zu den Cousins, man möge sich doch bitte für ein Gruppenfoto am Gewässer einfinden, was auch einige brav machen. Einige andere aber leider weniger: der erste Onkel hat vom Entführen die Flitzen und muss dringend den gasthäuslichen Abort aufsuchen, der Cousine 2. Grades ist die Strumpfhose geplatzt, sie braucht einen Uhu oder ein Nähzeug oder sonst was, das ihre Unterkleidung zusammenhält; die zwei Cousins spielen am Wasserrand und entdecken eine Kröte, die sie in ihrer Hand verstecken, um damit die Tanten zu erschrecken. Ein Tantchen fällt sogleich mit dem rechten Fuß ins Wasser, hält sich noch mit letzter Kraft am Schnauzer ihres Gatten fest und rettet sich so ans trockene Ufer. Ich hingegen halte dies alles fotografisch fest. Für die Ewigkeit.

Der erste Diarrhö-Onkel hat seine Peristaltik wieder soweit im Griff, dass er fürs Gruppenfoto stillhalten kann, die Cousine 2. Grades mit dem Loch in der Hose hat beschlossen, diese ganz wegzulassen und die kleinen Cousins halten schließlich der Braut die Kröte vor die Nase und befehlen ihr, sie möge sie küssen – vielleicht kommt ja ein Prinz heraus und man könne den vor wenigen Stunden geschlossenen Ehebund eventuell doch wieder annullieren. Solch freche Biester!

Meine Freundin nimmt sich ein Herz und deutet wenigstens ein Küsschen an, während ihr Liebster noch an den Lippenstift-Flecken auf seinem Haupte herumdoktert – er will ja schön sein fürs Foto. Ich halte auch dies fest. Für die Ewigkeit (und eventuell für den Prinzen…)

In der Zwischenzeit sind drei weitere Leute verschwunden: Rauchpause…., Bekannte getroffen…., was im Auto vergessen…. - die Liste der Erklärungen ist lang. Ebenso die Wartezeit, bis jene wieder auftauchen. Da ich es nun geschafft habe, die Gruppe halbwegs auf den selben trockenen Flecken Erde ohne Krötenpopulation zu stellen, bin ich kurz vorm Ausflippen, als sich ein anderes Tantchen vor die Leute ins grüne Gras legt mit den Worten „I bin so schwindlig!“, was in meinem Heimatort ein Synonym für „i bin so bsoffen“ ist, weshalb die Meute in Lachen ausbricht und von einer ersten Hilfe absieht. Nur ein Cousin bietet sich an, „Mund-zu-Mund-Beatmung“ durchzuführen.

Als nun endlich die ganzen Gäste versammelt zu sein scheinen, der Bräutigam sein Gesicht gereinigt und die Braut ihren Würgereflex den Krötenkuss betreffend unterdrückt hat, bemerke ich, dass ich die Leute nicht alle auf ein Foto bekomme und beschließe, den Bildausschnitt zu vergrößern, indem ich auf ein Bankerl steig. Ein wackeliges Bankerl - mit meinen wackeligen Beinchen. Und es kommt, wie es kommen musste: Bevor ich auch nur ein einziges Mal auf den Auslöser drücke, liege ich kopfüber im grünen Gras, direkt neben der schwindligen Dame, auf einer Kröte - und stehle ihnen allen damit ihre Show!

Resümee: 123 Fotos von der Brautentführung, 54 von der Kröte, 3 verschwommene vom Tantchen im Teich, 4 von der chillig in der Wiese relaxenden Dame mit Schwindelanfall, 45 von den kleinen Cousins – ach, waren die nicht süß! – und 18 Schnauzbärte. Kein Gruppenfoto, aber dafür ein Selfie, wie ich kopfüber auf einer Kröte nach meinem Bankerl-Sturz im Gras liege. Ah ja: und das eine Foto vom Radar hinter der Johanneskapelle. Ich bin eben ein Profi.

(Fotoaufträge werden gerne unter der Nr. 0664/43 XX XXX entgegen genommen)

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