Elternsprechtag


Gearbeitet, gekocht, eingekauft, geputzt, gewaschen, das Mittagessen für meine Spätheimkommenden warmgehalten und eigentlich schon reif für die spätnachmittägliche Couch, für „Pippi Langstrumpf“ im Astrid Lindgren- Special, das zurzeit im Fernsehen läuft, muss ich trotzdem noch einmal aus dem Haus. Es dämmert draußen bereits und ich scheine mein Tagespensum erfüllt zu haben, doch man zwingt mich: ELTERNSPRECHTAG. Das mag ich gar nicht. Lasst’s mich in Ruh, bin ich versucht zu denken, lasst’s mich auf meiner Couch, doch ich reiß mich zusammen: Ich entferne meinen Hausfrauen-Haarlook von zusammengebunden auf lockig-flockig mit ein paar Wasserspritzern auf mein Haupt und auf meine dankbaren Naturlocken, schlüpfe aus meiner Hausfrauen-Jogginghose in eine Jeans, säubere behelfsmäßig mit ebensolchen Wasserspritzern meinen Pulli, der Reste von Zahncreme, Mittagsmenü und ausgefallenen Haaren enthält, trete mutig vors Haus in die dunkle Nacht und schwinge mich per Veloziped Richtung Schule. Krass.

Vor der Schule schon treffe ich ein paar aufgeregte Mamas – wie aus dem Ei gepellt, gut duftend und frisch gestylt, steigen sie aus ihren Boliden. Ich hingegen habe mir neue Spritzer aufgegabelt – diesmal dicke, fette, dunkelschwarze Dreckspritzer vom Radfahren, die sich über mein Gesäß bis hin zum Scheitel ziehen. Sehr hübsch. Die frisch gewaschenen Mamas hingegen unterhalten sich über ihre Kinder und geben exakt den Fehlerverlauf bei der letzten Schularbeit wieder, während ich krampfhaft nachdenke, in welcher Schule und bei welchem Kind ich eigentlich bin. Zur Tarnung aber nicke ich betroffen, schüttle alle paar Sekunden verständnisvoll das Haupt und lächle, wenn ich meine, dass es angebracht ist. Von welchem Examen die beiden sprechen, ist mir ein Rätsel. Ich kann mich nicht an jede Schularbeit erinnern. Meine Kinder machen das schon irgendwie. Sie gehen ihren Weg. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich da so reinreiten und jeden Punkt und Beistrich samt Lehrerkommentar auf die Waagschale legen muss. Außerdem habe ich ganze drei Kinder, was in Summe im besten Fall bedeutet, dass ich 20 lange Jahre durchgehend ein Schulkind habe. Wenn ich mir da über jeden Test ein graues Haar wachsen lasse, habe ich bald nix mehr, was ich mit simplen Wasser- oder bei Gelegenheit auch Dreckspritzern noch zu Locken stylen könnte.
Na gut. Ich betrete das zweistöckige Schulgebäude, die Farben am Boden werden mich leiten, an jeder Säule steht geschrieben, wo sich welcher Lehrer befindet, ich werde das schaffen. Erklimme die erste Stiege, die Prothese knackt, die Locken fliegen. Der Dreck spritzt. Das wär mir auf meiner Couch nicht passiert.

Es grüßt mich jemand ganz vertraulich, ich habe nicht den blassensten Schimmer, wer das ist. Eine Lehrerin? Eine Mutter? Jetzt bleibt sie auch noch stehen und fragt nach meinem Befinden. Himmel! Wo soll ich die hintun? Haben wir ein Kind in einer gemeinsamen Klasse? Ist es die Mutter eines ehemaligen Schulkollegen von meinem Größten, ist es die Tante von einer Freundin meiner Mittleren oder ist es die besorgte Mama eines Kleinen? Vielleicht ist es die Verkäuferin vom Bipa, kommt mir jetzt vor und ich freue mich sehr über meinen Geistesblitz und dass mich die da auf der Stiege so anspricht. Sehr nett. Sehr kundenorientiert. Die hat sicher meine Dreckspritzer auf den Haaren gesehen und will mir jetzt ein neues Shampoo oder irgend sowas Unnötiges andrehen. Aber so gar nix vom Einkaufen redet sie, das ist verdächtig, sie spricht vom Schikurs. Welches Kind hat um alles in Welt demnächst Skikurs?  Ich nicke, ich lächle, ich stimme ihr zu. Wie recht sie doch hat.

Wie es ihr wohl geht, meiner Couch? Kalt wird sie sein. Kalt. Ich komm eh bald, liebe Couch…

Nun bin ich aber im richtigen Stockwerk und suche mal den ersten Lehrer. Vor seinem Kammerl ein Pulk an Wartenden, ganze Familienverbände scheinen da vorstellig zu werden. Von der aufgeregten Großmama bis zum ratlosen Vater schnattert alles durcheinander, sie halten Listen mit zig Lehrern in Händen und schauen besorgt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit komm ich endlich dran, der Lehrer hat nichts Aufregendes zu berichten, was mich sehr freut. Ich mach wie immer ein paar unangebrachte Witzchen, um zu zeigen wie cool und humorvoll ich bin, der Lehrer schlägt vor, mein Söhnchen könne gerne in den nächsten Tagen ein Referat halten. Nicht über den Pausenclown namens Mutter, sondern über Charles Aznavour. Mein Sohn wird es mir danken (und mich bei Gelegenheit ins Heim stecken).

I wü auf mei Couch – da kann ich weit weniger anstellen! Ich hab’s ja gleich gewusst….

Noch ein Stockwerk rauf, die Zeit drängt, man hat mich sehr engmaschig eingeteilt, 5 Minuten Zeit bei jedem Lehrer, jede Verzögerung zieht eine Massenkarambolage hinter sich her. Hier stehen 3 Damen – und schweigen. Sie messen sich mit Blicken: die eine schaut auf die klappernden Hufe der anderen, die zweite lässt ihre Augen um das gebärfreudige Becken der nächsten kreisen und die dritte funkelt zur hochpreisigen Riesentasche der ersten. Und dann komme ICH. Ich galoppiere mit meinen Waldviertlern – also völlig außer Konkurrenz – über den endlos langen Gang daher und fürchte mich. Sie sind aber eh ganz zahm, wenn man näherkommt, tun sie einem eh nix. Also bleibe ich mutig stehen, versuche meine Dreckwuzerl durch geschicktes Wegdrehen zu verbergen und schicke ein paar liebevolle Gedanken an meine Couch. Das kann nie schaden.

Hier dauert die Besprechung noch kürzer als anberaumt, nach einer ersten Vorstellungsrunde mit der mir völlig unbekannten Lehrerin komme ich nämlich drauf, dass ich bei der falschen bin. Im falschen Raum, im falschen Stockwerk. Falsch. Ganz falsch. Oh Couch, meine Couch, könnt ich jetzt in dir versinken…

Am Gang halten mich Schüler auf, die mir drei Muffins, 2 Kaffees, eine Eine-Welt-Schokolade, 3 selbst gebastelte Weihnachtssterne und ein rechtsdrehendes Leitungswasser andrehen wollen. Da es für einen guten Zweck ist, nämlich die Aufbesserung der Maturaballkassa, kaufe und verschlinge ich alles, bis auf die Weihnachtssterne. Die stopf ich in mein kleines, im Übrigen auch mit Dreckspritzern volles Rucksackerl und denke verklärt an die hochpreisige Riesentasche der Dame vorhin. Die kann darin das ganze Buffet samt Hausmeister verschwinden lassen.

Schließlich im richtigen Gang und Stockwerk angekommen, muss ich erkennen, dass meine 5 Minuten beim richtigen Lehrer schon lange abgelaufen sind, was mich dazu veranlasst, den Ort des Schreckens stante pede zu verlassen. Denn seien wir uns ehrlich: außer dass ich meine Kinder mit Referaten ins Unglück gestoßen, Leute und Stockwerke verwechselt und im Allgemeinen keinerlei Schimmer über die Herausforderungen meiner Kids habe, ist in den letzten eineinhalb Stunden ja nicht viel Produktives passiert. Die Zeit hätte man sinnvoller nutzen können. Auf der Couch zum Beispiel - mit Pippi Langstrumpf. Der wären die Dreckspritzer auch egal gewesen.

Kommentare

  1. Liebe Christine - like ever - einfach genial, ich freue mich auch auf deine nächste Geschichte

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    1. Liebe Elisabeth, vielen Dank für Dein feedback. Na, dann werd ich bald wieder was von mir geben, wenn das SO ist ;-)

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