in concert


Eine Einladung zu einem Konzert – in rustikalem Rahmen - nehme ich gerne an und schwinge mich mit meiner Mädelsrunde in das örtliche Veranstaltungszentrum, in dem ich ja schon viele schöne Stunden erlebt habe (siehe Speed Dating). Verschiedene Chöre und Drei- oder Viergesänge stehen auf dem Programm, anschließend ein bunter Abend. Das klingt doch gut, oder? Man kann sich doch auch einmal die regionalen Gruppen ansehen, es müssen ja nicht immer die verzweifelten DJs aus der Konserve sein, denk ich mir und schwinge meine lahmen Hufe auf die reservierten Plätze im vorderen Teil des Raumes. Habe sogar eine Bluse an und ein Ketterl mit einem Anhänger, den man mit viel Phantasie auch „trachtig“ nennen könnte.

Nachdem sich der blumengeschmückte Saal langsam mit einem sehr bunten Publikum gefüllt hat (meine Mädels und ich gehören zu den Jüngsten hier, aber auch das ist ok), geht der Vorhang auf und gibt uns einen ersten Einblick in das zu erwartende Programm: Es stehen dort ca. 70 Leute in kleineren oder größeren Grüppchen und freuen sich über unseren Anfangsapplaus. Der Moderator tritt ans Pult und gibt einen ersten Überblick über die zu erwartende Zeitpanne: die 13 Gesangsgruppen werden jeweils in 5 Blöcken Lieder und Gstanzln mit bis zu 23 kurzweiligen Strophen zum Besten geben, dazwischen gibt es 14-strophige Gedichte der ortsansässigen Kindergartengruppe, die jetzt auf der Bühne leider keinen Platz mehr findet und Anekdoten von einem alten Bergfex, der sämtliche Gräben und Gipfel von hier bis ins 2,4 km entfernte Nachbardörfchen kennt. Na wumm. Ich hoffe, ich lebe solange wie der Abend zu dauern verspricht…


Bevor die Sache aber erst so richtig zu eskalieren beginnt, fängt der Moderator mit der Begrüßung en detail an: er hebt hervor den Bürgermeister, Gemeinderäte, Pfarrer, Veranstaltungszentrumsmanager … ok… dazwischen immer tosender Applaus. Aber dann: Rinderzuchtsvereins-Obmann, Feitlklub-Vorsitzender, Klöppeldamen-Chefin, Spinnrunden-Managerin, Wald- und Forstwirtschafts-Chef, Jagdhornblasvereins-Vortrommler, Fußballclub-Trainer, Freie-Liebe-Vereinigungs-Geschäftsführer, Highheels-Hexen-Hauptweib …. tosender Applaus …. mich reißt es kurz, mich dünkt, ich bin schon ein bisschen eingenickt…. Tierschutz-Chefin, Hellsichtigkeits-Club-Häuptling, Wildkräuter-Such-Experte, Hauptverbandsvorstand der Lederhosenboys, Jesus-liebt-dich-Geschäftsführer, Leiter der frustrierten Hausfrauen und last but not least Olfaktorenclubchefin der Scheiß-di-nix-Brigade. Uff. Der Abend wird immer später, meine Laune verdunkelt sich zunehmend, mein rechtes Knie ist schon ganz steif, ich versuche, das Bein auszustrecken – direkt in die Flanke der Dame mit Hochsteckfrisur vor mir, Verzeihung!

Der erste Liederzyklus beginnt, ein Sammelsurium an traurigen Schnulzen aus alten Zeiten, man singt über die Bergleute, über die Bauern, über die tragischen Vorfälle aus dem Tal …. gähn…. ein Lamentieren, die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt, mir scheint, ich bin auf einer Beerdigung. Jetzt schläft mein linker Fuß ein. Wahrscheinlich weil mein verwöhnter Gluteus das harte Holz des Sessels beleidigt an die Nerven der linken Großzehe überträgt … ach, was red ich da, bin schon völlig hinüber, ein in zuckerlrosa gekleidetes Mäderl aus der Kindergartengruppe betritt die Bühne, während unzählige Handys gezückt werden – ist die nicht süß! Sie gibt den ersten unverständlichen Satz eines Gedichtes über das schwere Leben hier im Tal von sich, danach hat sie einen Nervenzusammenbruch und weigert sich, weiterzusprechen. Der siebente Chor rettet die Lage mit einer 18-strophigen Ballade über die Hüttenarbeiter aus der Region. Chrrrrrr…. Schluck ….. bin ich jetzt samt linkem Haxen eingeschlafen? Dann scheint es etwas heiterer zu werden, als der Bergfex seine Anekdoten zu erzählen beginnt. Es scheint aber nur so, denn er verzettelt sich in flachwitzige Nebensächlichkeiten, greift sich permanent zwischen seine Lederhosenbeine, als ob er auf der Suche nach seinen Kronjuwelen sei und lacht selber am lautesten über seine vermeintlichen Schenkelklopfer.

Die Szenerie setzt sich fort wie oben beschrieben, es folgen die Chöre Schönes-Tal-Geräuschebund, steirische-Mägde-Sängertrupp, Moll-Spatzen, Blas-Weiber, Grusel-Stimmen, A-Tonal-Singkreis, Werks-Vocal-Ensemble und Jagd-Liederkranz …. i kann nimma, i will nimma…. ein Königreich für ein Paar Ohropax!

Dann Pause. Endlich.

Ich suche nach einer Fluchtmöglichkeit, bin aber irgendwie in Panikstarre verfallen und kann den Saal kaum verlassen. Urinieren bringt wenig Erleichterung, zumal mir dort die Chorleiterin der Blas-Weiber von ihren Hämorrhoidalbeschwerden erzählt. Ich humple angewidert zurück in den Saal, ernte ein wohlwollendes Nicken meiner Mädels, die schon Angst hatten, dass ich das Gebäude auf Nimmerwiedersehen verlassen hätte. Ein letztes Zusammenreißen – jetzt wird’s sicher besser mit der Unterhaltung, man hat uns ja einen bunten Abend versprochen. Dass es inzwischen mitten in dunkelster Nacht ist und ich normalerweise um diese Zeit meine zweite REM-Phase durchmache, sei nur nebenbei erwähnt.

Bunter Abend, nun ja… ich fasse mich kurz: die ungefähr 70 Sänger finden sich in Duetten zusammen und geben Schlager zum Besten…. „zum Besten“ ist vielleicht etwas übertrieben, denn meine Geduld ist zu Ende, ich bin mittlerweile höchstgradig aggressiv und ziehe einen Amoklauf in Erwägung, nachdem ich mehrere Mädels gebeten habe, mich auf der Stelle erschießen zu wollen und sie dies verweigerten.

Die Sopranistin von den Holodareidulio-Stimmen gibt mit dem Tenor vom Jünglingimfeuerofen-Singkreis „Du hast mich tausendmal belogen“ von sich, der Countertenor vom Mirtutmeinohrsoweh-Liederbund trällert mit einer Mezzospranistin vom Häkeldichfrei-Sänger-Trupp „simple man“ – Klaus Nomi ist ein Lercherschas dagegen – und der Koloratursopran vom Allemeineentlein-Chor gibt sich mit dem Bassbariton von den Einhorn-Spatzen „Zwickt’s mi, i man i tram“. Abschließend bedankt sich der Moderator noch einmal ganz herzlich bei allen, die er auch zu Beginn aufgezählt hat.

Der Morgen graut, wir verlassen das Etablissement durch ein Spalier mit 70 obig genannten Sängern, die Kindergartenkinder liegen auf den Bänken im hinteren Teil des Saales und schlafen alle. Und dann passiert was Unvermutetes: Ich lasse die ganze Nacht noch einmal Revue passieren und es gefällt mir. Ja, wirklich, es gefällt mir! Ich beschließe fortan unterstützendes Mitglied der Chöre Schönestalgeräuschebundsteirischemägdesängertruppmollspatzenblasweibergruselstimmenatonalsingkreiswerksvocalensemblejagdliederkranzjünglingimfeuerofensingkreismirtutmeinohrsowehliederbundhäkeldichfreisängertruppallemeineentleinchoreinhornspatzen zu werden. Vielleicht werde ich dann auch einmal vom Moderator extra begrüßt. Holareidulio!

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