Alles im Griff - auf dem sinkenden Schiff


So interessant mein Leben als 3-fache Mutter und Familienhäuptling auch ist, manchmal – ich gebe es zu – wird’s ganz schön kompliziert und anstrengend. Da prasseln ziemlich viele Sachen zugleich auf meinen mit einigen Zipperlein bedeckten Buckel ein, mit denen man schon statistisch rein gar nicht fertig werden kann:

Mein Jüngster will von mir 2 Bögen mit ärztlichen Fragen zur FSME-Impfung ausgefüllt bekommen, 5 Klopapierrollen zum Basteln in der Schule und ein Geschenk für einen Freund, der ihn zu einer Geburtstagsparty eingeladen hat. Des Weiteren erklärt er mir, ich möchte doch so freundlich sein und sein Fahrrad straßentauglich ausstatten, es besitze weder Klingel noch ordentliche Katzenaugen, und das Zeitschriftenabo, das ich ihm vor 7 Jahren bestellt hätte, sei inzwischen so öd geworden wie ein Kassettenrekorder aus den 1970er Jahren. „Olli und Molli besuchen Bimbo“ reiße ihn nicht mehr aus seinen Markensocken. Viel lieber wäre ihm da eine neue Panzerglashülle für sein Handy. Kenn ich, kein Problem. Hatten wir damals auch: die Telefonzellen seinerzeit waren aus Panzerglas. Oder aus Glas wenigstens. Er benötige zusätzlich noch 8,43 € in einzelnen Münzen für ein Schulbuch, mit den Lehrern sei in Sachen Wechselgeld nicht zu spaßen und der Frisör renne ihm auch schon wieder nach. Ob ich denn nicht sehe, dass seine 6-Millimeter-Haare bereits lange Zoten seien.

Parallel dazu kommt mein Töchterchen angerannt mit folgendem Ansinnen: sie möchte den Mopedausweis machen, es gilt, sie in der Fahrschule anzumelden, Termine für die theoretischen Stunden zu checken, den praktischen Teil zu organisieren, Passfotos und letztendlich irgendwann in naher Zukunft – wenn’s nach Töchterchen geht, „gestern“ – einen fahrbaren Untersatz zu besorgen. Zusätzlich benötige sie eine neue Brille, weil die alte sie auf ihrem inzwischen offensichtlich gewachsenen Näschen (ganz die Frau Mama!) sehr einengt, es wäre also zuvor ein Augenarzttermin nötig, zu dem ich sie tunlichst begleiten möge. Und sie als Vegetarierin, erwähnt sie noch zwischen Tür und Angel, wünsche sich eine andere Bestückung des Kühlschranks. Tempeh, Seitan, Kombu-, Wakame- und Nori-Algen, Mio Paste und Agar-Agar – damit sei sie fürs erste vollends zufrieden. Und biiiiitte: endlich den Schulausflug bezahlen, sie fahre ja bald auf Sprachreise, für die sie im Übrigen noch ein neues Kofferset, 2 spezielle Regenjacken, ein Schlafhörnchen und Naschereien ohne Gelatine brauche. Uff.

Der Große ist bescheidener: ein Pölsterchen für sein neues Bett würde ihm gefallen, er liegt mit den Ohren schon im Federkern, flötet er mir zu, außerdem wär‘s mal ganz nett, ein wenig mehr Intimsphäre in seinem Riesen-Zimmer zu haben, weshalb ich ihm doch ein Regalchen als Raumteiler aufstellen möge. Und ein Rad, eh nur ein altes, ein Fahrrad wär echt ein Hit für seine Ausbildung in der Hauptstadt, dann erspare er sich das viele Umsteigen mit den Öffis. Ah ja, und weil wir gerade dabei sind, ich müsse noch um die Verlängerung der Kinderbeihilfe ansuchen und ob ich ihm denn die wichtigsten Frühblüher aus unserem Garten erklären könne, schiebt er noch hintan. Es sei ihm zwar peinlich, aber dies gehöre wohl zur Allgemeinbildung und er müsse dies im Rahmen des Unterrichts referieren. Des Weiteren brauche er die Kontaktdaten von seiner Homöopathin aus Kindertagen und am Sonntag, Dienstag, Donnerstag und Samstag das Auto.


Gut. Soweit alles kapiert. Ich fang dann eben mal langsam an zu koordinieren, organisieren und delegieren, während ich vermehrt auf dem WC sitze – muss ich doch schließlich 5 Toilettenpapierrollen für den Werkunterricht leerkriegen. Aber dann geht’s los, bald hab ich alles beieinander und gecheckt:

Ich schicke zuerst mal meinen Kleinsten mit neuer Brille zur theoretischen Mopedprüfung. Er ist gut vorbereitet: hat mit dem neuen Schlafhörnchen plus einem neuen Polster exzellent geruht und ist bis oben hin gedopt - mit homöopathischen Kugerln. Passfotos hat er mit, gekleidet ist er mit zwei Damen-Regenjacken– man kann ja nie wissen! – und kriegt dann als Belohnung ein altes Rad geschenkt, das er aber nur in der Hauptstadt verwenden würde können, sofern er da mal hinkommt. Außerdem kredenze ich ihm nach bestandener Prüfung ein gutes Tofu-Humus-Agar-Agar-Menü zum Abendessen und er darf bald auf Sprachreise fahren. Juhu.

Meinem Töchterchen hingegen serviere ich ein blutiges Steak, nachdem sie beim Friseur war und dort einen 6-Millimeter-Cut erhalten hat. Für ihr 3m2 großes Zimmer kriegt sie natürlich einen Raumteiler, außerdem wurde mir bestätigt, dass ich für sie auf die Familienbeihilfe ohnehin noch lange Jahre Anspruch hätte. Danach schaue ich, dass sie pünktlich mit Geschenk bei der Kindergeburtstagsparty aufkreuzt, die Klopapierrollen darf sie nicht vergessen, und zur Vorsicht habe ich alle Frühlingsblumen in einem Herbarium gepresst und beschriftet, aber der Transport ist ohnehin kein Problem, sie hat schließlich am Sonntag, Dienstag, Donnerstag und Samstag das Auto.

Dem Großen verlängere ich auf der Stelle sein „Olli und Molli besuchen Bimbo“-Abo auf fixe 5 Jahre, während er lustlos auf einer Wakame-Alge herumkaut und auf sein Panzerglas-Handy klopft. Auch ein Buch um 8,43€ darf er jetzt sein Eigen nennen, überwiesen mit E-Banking an das Sprachreisen-Reisebüro. Trotzdem murrt er. Der soll bloß mal nicht so tun, schließlich hat sein Fahrrad jetzt eine Klingel mit Barbie-Motiv und die Katzenaugen sind nagelneu. Das rosa Kofferset gehört ihm auch, das kann er als Raumteiler verwenden -  oder reinkotzen, falls ihm die FSME-Impfung nicht gutgetan hat.

Mehr kann man als Mutter nun wirklich nicht tun.

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