Schuhtick einer Hinkenden
Den Frühling mochte ich immer schon sehr. Wenn der Schnee im "Grobn" auf der Straße ungefähr im April oder Mai langsam zu schmelzen begann und man zwischen Asphalt und unterspülter Eisplatte mit einem lauten Kracher die letzten Reste vom Winter mit ein paar Fußtritten zerstören konnte. Dann war es Zeit für neue Schuhe. Weg mit den Winterstiefeln, rein in Halbschuhe oder, wenn man ganz mutig war, sogar schon ab und zu in Sandalen. Sommer war nämlich erst ab Juli. Also zwei Wochen im Juli, um exakt zu sein, denn ab 15. August begann es spätestens zu herbsteln und der Affenzirkus mit diesen nicht enden wollenden Wintern, in denen es waagrecht schneite, begann von vorne.
Ich liebte die Schuhe der erwachsenen Damen. Wenn sie so dahinklapperten mit ihren Stöckeln und Schlapferln. Damals gab es noch sogenannte Töffler, das waren Pantoletten oder Clogs aus Holz mit Riemchen aus Leder oder Plastik. Und bei jedem Schritt hörte man ein wunderbares Geräusch, wenn die Fersen vom Holz weg- und wieder hineinschnepften.
Oder wenn die Frauen in Plastik-Stöckelschuhen mit Riemchen gingen, quietschten ihre Fersen und manchmal auch die große Zehe so herrlich mit. Dabei standen ihnen die Männer um nichts nach, auch sie hatten damals Schuhe mit ziemlich imposanten Absätzen. Gequietscht haben die weniger, doch hatte man ständig das Gefühl, dass die Herrn in ihren hochhackigen Galoschen einen dynamischeren Schritt bekamen und eine flotte Sohle aufs Parkett legen könnten, auch wenn sie den John Travolta nur vom Hören-Sagen kannten.
Solche Schuhe wollte ich auch!
Das Ding war nur, dass ich keinerlei Halt in herkömmlichen Halbschuhen hatte und nicht damit gehen konnte, da sich von Geburt an meine Füßchen um eineinhalb Schuhgrößen voneinander unterschieden. Der rechte Fuß war immer kleiner, schmäler und schwächer und mit solchen Pantoffeln oder Sandalen zu gehen, hätte ich nicht geschafft.
Außerdem kam ich in der Kirche darauf - und dazu bedurfte es keinerlei Holzschuhe oder filigraner Sandalen – dass die Geräusche, die ich auf dem steinernen Boden von mir gab, keine Regelmäßigkeit aufwiesen, im Gegenteil: ich gab natürlich schon immer Hinke-Töne von mir, die vor einer Messe besonders auffällig waren, da die Leute ja andächtig, leise und vor allem fadisiert in den Bänken saßen und alles dann auf mich starrte, weil man ein seltsames Schlurfen oder einseitiges Klopfen vernahm. Nicht auszudenken, wenn ich mit Diskoschuhen gekommen wäre und auch noch vor mich hingequietscht hätte!
Irgendwie musste ich mich aber meinem Schicksal fügen, denn eigentlich war die Sache mit den klappernden Sommerschuhen ohnehin nur für kurze Zeit relevant. Meistens hat es im "Grobn" sowieso geregnet oder es war unwirtlich kühl. Dann kam nämlich meine Zeit, und ich trug gelbe Gummistiefel – ob ich wollte oder nicht. Die schützten vor der Nässe und im weiteren Verlauf vor bösen Krankheiten, die man sich gerüchteweise bevorzugt im Unterleib zuziehen konnte. Auch blieben die Füßchen immer rein und stanken unmerklich mehr als die meiner Freundinnen in ihren nassen Socken.
Die Stiefelchen gaben kaum Geräusche von sich, außer wenn ich in eine Pfütze sprang und den Rest um mich herum anspritzte: bevorzugt all jene Leute mit ihren sorglosen Füßen, auf die ich ungemein neidisch war, bin und - ich fürchte - immer sein werde.
Aber das böswillige Springen durch Eisplatten und in kleine Lacken lass ich mir nicht nehmen. Was für ein Vergnügen! Auch für eine Hinkende.
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