Geschmäcker und Zeiten ändern sich.
Es ist mir ein Rätsel, was in den letzten Jahren mit mir passiert ist. Eine Wandlung hat stattgefunden, was meinen Geschmack betrifft, sei es für Essen, Mode, Kunst oder auch für meine Mitmenschen. Was ich mein Leben lang für abscheulich hielt und verteufelte, wird mir immer sympathischer, ja es zieht mich geradezu an. Ist das normal, weil man sich eben ändert und mit seiner körperlichen und geistigen Reifung auch andere Sensoren und Bedürfnisse entwickelt oder bin ich jetzt komplett verloren und hätte ich eigentlich die Pflicht, mir das alles auch quasi wieder abzutrainieren, so peinlich wie sich manches davon anfühlt?
Schon als Kind konnte man
mich zum Beispiel mit dem Geruch und Geschmack von Zwiebeln in die Flucht jagen
– was bei meinen körperlichen Kalamitäten nicht selbstverständlich ist und ich
eher dazu neige, in Panikstarre zu verweilen als meine Beinchen in die Hand zu
nehmen und davonzulaufen. Auch Dill und Schwammerln gehörten zu den
Weglauf-Boostern, später war es dann Rotwein. Igitt.
Frage nicht, woran ich
mich heutzutage nahezu tagtäglich delektiere. Nein, es ist nicht der Rotwein,
zumindest nicht täglich … das wäre doch jetzt ein zu aufgelegter
Schenkelklopfer gewesen. Es sind die eben erwähnten Lebensmittel: Zwiebel zum
Beispiel schneide ich mir überall hinein (außer in den Rotwein), ich genieße
ihn roh auf einem Butterbrot, abgebraten oder zum Drüberstreuen und als
Ofengemüse. Dazu gibt’s Champions in allen Varianten und nicht selten wird über
alles noch ein g’schmeidiges Dillkräuterl gegeben. Mhmmm, lecker!
Ich mag Porree-,
Kohlrabi-, Kürbis- und Zucchinisaucen mit Semmelknödel, Buttererdäpfel oder
Krautfleckerl mit saurer Suppe, tunke mir den Kuchen wie meine Oma in den
Kaffee, esse Stinkekäse und Quargel wie mein Vati und zum Abschluss gibt’s ein
Schmalzbrot mit viel Knoblauch. Auch das waren seinerzeit
Davonlauf-Beschleuniger. Jetzt ist das Gegenteil der Fall. Hiiiiiiiilfe! Was
ist mit mir passiert?
Irritierend ist auch,
dass mir plötzlich äußerst kitschige Dinge gefallen, seien es Orte wie Venedig
oder Mariazell, wo alles überladen und üppig von den Wänden und Häusern
springt, ein barocker Prunk, eine opulente Pracht. Was war mir das früher alles
für ein Dorn im Auge! Das Schlichte, das Bescheidene hatte es mir angetan –
jetzt können gar nicht genug Schnörkel irgendwo drauf sein. Ich ertappe mich
auch immer wieder dabei, dass ich bei Engelsfiguren länger verweile, als mir
lieb ist, da ich sie all die Jahre nie recht mochte. Ich konnte mit den kleinen pausbäckigen Dingern kaum was
anfangen. Jetzt tauchen Fragmente aus meiner Kindheit bei deren Anblick auf und
ich beginne sie immer mehr liebzugewinnen. Hilfe, Hilfe und nochmals
Hiiiiiiiilfe!!!
Ich habe zig Jahre in
Wien gelebt und mir ist nie aufgefallen, wie alt, geschichtsträchtig und vor
allem wunderschön die Architektur dieser Stadt ist. Jetzt ziehe ich mir sämtliche
Informationen sowohl über die Habsburger als auch über Volkskundliches anhand
von Dokus rein und suhle mich in der Geschichte und den G’schichteln rund um
unsere Hauptstadt. Wo soll das noch hinführen?
Auch bei manchen Menschen
bin ich immer wieder erstaunt, wie sich einige vom Unsympathler zum Sympathieträger
entwickelten, wie sie auf einmal hübsch sind, die ich früher als eher
unattraktiv empfand und wie sich die Leute sowohl durch IHR Altern als auch
durch MEIN eigenes Reifen zu durchaus tollen Menschen mausern. Sei es äußerlich
oder auch charakterlich. So mancher Anti-Hero ist in meinen Augen nun echt ein
Held geworden. HILFE !
Geh bitte, das kann doch
gar nicht sein…. Was bloß hat es mit so einer Sinneswandlung auf sich?
Eines allerdings bleibt
bei mir immer stabil: es ist mein Musikgeschmack. Ich höre nämlich noch immer
keine Blas- oder volkstümliche Musik, keine Schlager und keinen Jazz. Die kriegen mich nicht! Die einzige
Konstante sind meine Techno-Bumm-Bumm-Bumm-Klänge, die mich manchmal sogar dazu
veranlassen, meine Beinchen zu bewegen. Aber nicht zum Davonlaufen.
Geht doch.
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