Mütter-Töchter-Ausflug


Ein befreundetes Mutter-Tochter-Gespann, mein Mäderl und ich planen einen Ausflug. Wir gründen die übliche WotSepp-Gruppe, legen das Datum und das Ziel fest und sind bass erstaunt, wie schnell wir einen Konsens finden. Keine Kalamitäten bei der Termineinigung, keine Animositäten bei den Sehenswürdigkeiten oder beim Reiseziel. Einfach und kompakt und sehr perfekt.

Oder doch nicht? Auf dem Plan stehen die Ausstellung des Fotografen Steve McCurry in der Messe Graz, ein Mittagessen in den südsteirischen Weinbergen mit regionalen Köstlichkeiten und ein Besuch des Foto-Hotspots „Herzerlstraße“ an der slowenischen Grenze. Alles andere würde spontan erledigt und besichtigt werden. Soweit die Theorie.

Wir starten mit einem geliehenen Flitzer, die befreundete Tochter ist unsere begeisterte Chauffeurin, mein Mäderl ihre Beifahrerin und wir Mütter quetschen unsere gebärfreudigen Becken auf die billigen Plätze. Nach kurzer Zeit gibt es das erste Problem: ein Licht leuchtet im Cockpit auf, es ist zu wenig Scheibenflüssigkeit vorhanden. Die jugendliche Fahrerin möchte weiterfahren, ihr Mütterlein besteht auf die sofortige Schadensbehebung, woraus resultiert, dass das Mütterlein auszusteigen und Wasser nachzufüllen versucht, während das Töchterchen den Wagen nicht wirklich anhält, sodass besagte Mama ein paar Meter mit einem Bein auf der Straße mitschwingt.

Nachdem jenes Problem mit einer Flasche Mineralwasser gelöst wird, geht’s mit der „Sport-Fahrerlebnisschalter-Funktion“ des Automobils weiter, was die Altvorderen mit gefühlten 6G in die Rückbank drücken lässt, kleinere Panikstarre-Anfälle inklusive. Die Mutter der Chauffeuse gibt ein zuversichtliches „So, jetzt entspannen WIR uns“ von sich und versucht mit allen mentalen Kräften ruhig zu bleiben, sich einzureden, dass das Kind schon erwachsen und erfahren ist und wir auf der Rückbank ohnehin keinerlei Einfluss haben. Doch zu tief sitzen noch die Erfahrungen der L17-Fahrten…

Die zwei Mädels im Cockpit bleiben cool, genießen die Fahrt, spielen am Handy und suchen die Musik aus. Mit Turbo-Geschwindigkeit und zu den Klängen von deutschem Rap, in dem Worte fallen wie „motherfXXXer“, „Bitch“ und „ich fXXXX sie alle“, dargebracht in liebevoller Weise von Häf’nbrüdern und Schnapsflaschen-am-Kopf-Zertrümmerern, kommen wir sicher in Graz am Veranstaltungsort an und wunderen uns schon bei der Einfahrt in die Parkgarage, dass hier heute der Parteitag einer allseits bekannten politischen Organisation stattfindet und irgendwie so gar nicht unsere Fotoausstellung. Der Parkplatzwächter macht es dann mit einem Satz zur traurigen Gewissheit: „Die Ausstellung war IM VORJAHR, meine Damen!“

Wir können es kaum fassen: WIR SIND EIN JAHR ZU SPÄT!!! Trotz Sport-Fahrerlebnisschalter.

Alle haben die Ausstellung gegoogelt, keine hat’s überrissen, zumal auf der Homepage auch in dicken Lettern steht: „verlängert bis 4.10“. Und keine Jahreszahl dabei.

Ein Jahr zu spät! Und das mir, wo ich doch immer so auf Pünktlichkeit erpicht bin.

Jetzt ist guter Rat teuer. Unser erster Programmpunkt und auch Hauptact fällt also der Tatsache zum Opfer, dass wir nicht mal mehr von gestern oder vorgestern sind, sondern gleich vom Vorjahr…

Mit Lachflashs fahren wir ins nächste Einkaufszentrum, ich kratze kurz mit meiner Türe an der Betonmauer, da unsere Chauffeuse nach einem bravourösen Rück-Einpark-Manöver wieder ein bisschen nach vorne fährt, während ich bereits einen meiner Hendlhaxn im Freien habe und schon sitzen wir in einem Café und bestellen uns die Speisekarte rauf und runter, obwohl dies gar nicht am Plan war.

Mit gefüllten Bäuchen und kurz vor einem Milch- und Zuckerschock beschließen wir, nicht nur an die slowenische Grenze zur Herzerlstraße zu fahren, sondern gleich nach Maribor. Man will ja was sehen von dieser Welt! Außerdem ist es fast schon Mittag und wir haben noch gar nichts von unserer Agenda abgearbeitet.

Auf der Fahrt erklärt uns mein Töchterchen genau die Sehenswürdigkeiten von Graz und die neuen Bauprojekte; sie weiß zu fast jedem Haus ein Schmankerl zu berichten und mahnt uns geistesgegenwärtig zum Kauf einer Vignette, was wir anderen komplett vergessen hätten. Schön, dass die Jugend das Denken für die ältere Generation übernimmt!

Ich lehne mich in meine Sport-Turbo-Polster, züchte mein Kreuzleiden und freue mich auf ein Abenteuer im Ausland. Oder eigentlich nicht, denn für eine „Mrs. Monk“ wie für mich sind Spontaneität und Unstrukturiertheit eigentlich sehr verstörend. Aber ich will mich mal fallen lassen. „Jetzt entspannen WIR uns“, hat’s ja vor ein paar Stunden noch vielversprechend geheißen…



Die Herzerlstraße ist ein gut organisierter Fotohotspot, für den man Eintritt zahlen muss. Auch hier tut uns das Internet den falschen Preis kund, aber wir sind das ja schon gewohnt. Anschließend suchen wir ein Gasthaus in den Weinbergen mit regionalen Spezialitäten. So rein theoretisch. Finden tun wir eine Pizzeria in trendigem Stockdunkel-Look mit offenen Feuerstellen, Deko aus Pappe, Kellner mit Fleischhacker-Schürzen aus den 70ern und Funselbeleuchtung wie in der Rauchkuchl vom Heimatmuseum Stübing. „Das ist jetzt trendy, Mama“, werde ich belehrt, schweige fürderhin und genieße meine Original Slowenische Pizza.

Nach Maribor gelangen wir nach ein paar weiteren lustigen Begebenheiten. Dabei wird u.a. eine rote Ampel nur um ein Haar NICHT überfahren und ein Autofriedhof wird mit einem gut besetzten Restaurant-Parkplatz verwechselt.

Marburg muss man nicht unbedingt gesehen haben: Das Parkhaus ist gruselig eng, dunkel und spooky, die Stadt erinnert sowohl von der Architektur als auch von den Schaufenstern her an tiefe Ostblock-Zeiten und nur der innere Kern, die Altstadt, kann sich sehen lassen. Da hätten wir aber auch nach Frohnleiten fahren können, denn der Hauptplatz dort sieht ähnlich aus. Zudem riecht es in Maribors Gässchen nach Urin, und die Lokale dürften die Pandemie durchwegs nicht gut überstanden haben: geschlossen, heruntergekommen, besprayt.

Mit der Sport-Turbo-Taste fliegen wir bald retour über die Autobahn gen Heimat und sind schneller wieder daheim als wir schauen können. Bocksteif steigen die Mütter von der Rückbank aus, wir knacken mit unseren Gelenken, schieben Kreuz, Kopf und Becken zurecht und freuen uns über unsere gesunden Töchter, die mit ein paar „Be real“- und „Snapchat“-Selfies aus dem Wagen jumpen und sich auf ihre nächsten Lebensabenteuer freuen. Die sind kein Jahr zu spät.

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