Mensch, ärgere dich (nicht)!

 

Ich schreibe ja recht gerne, dies erzeugt eine Spannung in mir, die sich dann wohl auch in einer gewissen Ent-Spannung entlädt, wenn die Geschichte gut geworden ist. Da habe ich eine Grundidee, stelle mir in meinem Geiste die dazugehörigen Kapitel vor und schaue, dass es einen roten Faden gibt. Schnell setze ich mich an meinen Laptop, fahre ihn hoch und klicke auf das Icon für das Textverarbeitungsprogramm.

Währenddessen beginnt es in meinem Kopf zu rotieren. Aber nicht etwa zum Thema der Geschichte passend, neeeiiin! - sondern meine Gedanken laufen mit mir davon, während sich das Rad am Laptop mit der verheißungsvollen Mitteilung „Startvorgang“ dreht. Das kann dauern, da habe ich Zeit, mich zum Beispiel über das Finanzamt oder die Krankenkasse zu ärgern, welch letztere mir die Kosten für meine Physiotherapie 4 Monate später noch immer nicht rückerstattet hat und mir schon den zweiten Brief schickt, in dem sie mich auffordert, die Überweisung nachzureichen, obwohl ich diese mit einer Klammer drangeheftet und auch schon ein Duplikat eingereicht habe. Ich kann es mir weiters nicht erklären, dass sie meinen Reha-Antrag in der Rekordzeit von 3 Monaten abgelehnt haben. Ah ja stimmt, ich hab ja nix, bin ja bloß eine Hobby-Spastikerin…. Haben die dort ein Pferd sitzen, weil sie glauben, es könne aufgrund seines Schädeldurchmessers besser denken?

Übergangslos komme ich ärgertechnisch – und es kribbelt bereits in allen 10 Fingern - zu meinem ebenfalls vor Monaten bestellten Küchentisch, der zwar laut Möbelhaus schon bei der Spedition gelandet ist, diese den Auftrag aber leider versemmelt und statt des Buchstabens „a“ bei der Hausnummer eine Null gelesen und als unzustellbar wieder zurückgenommen hat. Auch dort dürfte ein Zoo den Laden übernommen haben. Hornochsen wahrscheinlich.

Ich schnaufe ein paarmal durch und ziehe eine Grimasse, die weder jemand sieht, noch für jemanden förderlich ist. Außer für meine Falten.

Das Rad am Laptop hat sich fertig gedreht, es erscheint ein blaues Kasterl mit der Aufforderung „bitte warten, schalten Sie den Computer nicht aus“, während ich mich ärgere, warum mir die Dorli auf WotSepp immer Fotos von sich im Bikini schickt, soll ich etwa zurückschreiben, wie attraktiv sie für ihr Alter ist? Den Teufel werd ich tun! Diese vertrocknete Pflaume geht mir an meinem hängenden Gesäß vorbei. Und warum schickt mir der Richard immer nur „Daumen-hoch“-Emojis und der längste Text, den er in den letzten 5 Wochen verfasst hat, lautete „aha“, der ist wohl auch nicht die hellste Kerze im Leuchter. Die Leute nerven mich alle so. Keiner sagt konkret, was er will, alles wischiwaschi und larifari, keiner will sich mehr festlegen, alles nur mehr ein Spiel und viiiiiieel, viiiiiiel Spaß. Bilderchen, Emojis oder kurze Sätze mit zig Rechtschreibfehlern - wenn ich das schon sehe! „wau, seits ihr fesch, dass ist grenzgenial!“ Kotz. Wann sind bloß alle so verblödet?


Eine weiße, leere Seite öffnet sich, mir scheint, jetzt bin ich drinnen in meinem Programm, ah nein, noch nicht ganz, das Rad beginnt sich wieder zu drehen, irgendwas wird „konfiguriert“, gibt man mir zu verstehen. Ich warte weiter und spüre, wie mir der Ärger von der Magengrube in den Hals hochsteigt, ein leichtes Würgen und eine Hitzewallung machen sich bemerkbar.

Und was hat eigentlich Tantchen bei unserem letzten Telefonat noch schnell gesagt? Ich sollte mir doch eine schönere Unterwäsche kaufen, dann würden mir die Männer nicht immer reihenweise davonlaufen. Jo sicher, Tantchen. Du bist ja auch sehr glücklich mit deinem alten Sack – und damit meine ich ihr beiges Unterkleid aus dem Jahr Neunzehnhundertkreisky, und nicht ihren Mann, wohlbemerkt. Das könnte man aber leicht verwechseln. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal Sex? Ich glaub, da zahlten wir noch mit Schilling. Is eh wurscht. Interessiert eh keinen. Ah nein, stimmt nicht ganz. Man muss doch, wenn man beim aktuellen gesellschaftlichen Rennen und Lifestyle dabei sein will, in seiner Statistik zumindest manchmal glaubhaft aufweisen können, dass man im Unterstüberl aktiv ist. So wollen es die Medien, die Werbung und die Nachbarn. Couchliegen und fernsehen ist out.

Alleine mit der Wollweste im Wald spazieren ist out, da muss man mindestens zu zweit drei Gipfel auf einmal in trendiger bunter Papageien-Outdoorkleidung mit aktiver Schweiß-Furz-Imprägnierung bezwungen und auf jeder Hütte eine Gaudi mitgemacht haben. Radfahren ohne Motor ist out, da braucht es schon ein E-Bike, damit man dann auf den sozialen Medien posten kann, dass man 70 km gefahren ist, wo man sonst nie seinen Allerwertesten hochkriegt und am liebsten durch die Supermarkt-Tür noch mit dem Auto fahren würde. Und immer schön hudeln bei allem. Immer schön im Stress sein. Das ist in. Handywischen, pieps, pieps, wisch, wisch – und weg. Lächle, Lotta, du kannst sie nicht alle töten…

Oh, wie schnell das geht, schon ist die Seite des Textverarbeitungsprogrammes offen. Ähm… was wollt ich jetzt eigentlich schreiben? Weg ist sie, meine story! Keine Kapitel mehr und schon gar kein roter Faden. Shit!

Ich werde mich in Zukunft weniger ärgern – versprochen! Und mich wieder mehr auf meine G‘schichtln konzentrieren. Das ist besser für mein Wohlbefinden und erspart mir vielleicht auch den ungesunden Kontakt mit der Krankenkasse und deren Tierzuchtverein.

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