Das geht mir unter die Haut




Eine kleine Auszeit. 5 Tage auf Korfu. Das Hotel kannte ich bereits – überschaubare 3 Gebäude mit köstlichem Essen, Individualtouristen und Pärchen als Hauptzielgruppe, ein kleiner, feiner Sandstrand mit ein paar Liegen, griechische Heiterkeit und Ouzo aus einem Zapfhahn rund um die Uhr. Nichts wie hin, auch heuer wieder.

1. Tag:

„The building L is over the brizzzzzzz“, flötet der Rezeptionist, als ich in der frisch renovierten Halle ankomme, was mich schon etwas stutzig werden lässt: wo, um Himmels Willen, war da jemals eine „brizzzzz“, eine Brücke? Und was meint der Kerl mit „Gebäude L“? Bin ich hier im falschen Film? Noch ehe ich mich verseh, entdecke ich, dass man hinter den 3 ursprünglichen Häusern die „Buildings“ etwas erweitert hat, nämlich auf zwölf. Ja, richtig gelesen: zwölf Gebäude, „A bis L“. Und eine Brizzzzz. Das Areal ist nun ungefähr so groß wie mein Heimatort und hat ungefähr gleich viele Einwohner. Und keine Individualtouristen mehr, nein!, Familien mit Kleinkindern. Jowui!

Alles voll von denen, plärrende, trotzige Kinder mit ihren ebenso plärrenden Eltern, die sich den ganzen Tag von Bar zu Bar und von Pool zu Pool schleppen, immer ein Bierchen in der tätowierten Hand und ein Zigaretterl zwischen den Permanent-Make-Up-Lippen. Aus den Bars dröhnt feinstes Techno, im Kuchenbuffet kommt es zu ersten Raufereien zwischen zwei Damen mit tropfenden Bikini-Unterteilen, die ihre überwuzelten Gesäße nur mangelhaft bedecken und auf die Teller wird am Abend raufgeschaufelt, was das griechische Porzellan hält. Und stehengelassen. Damit die Fliegen auch was davon haben.

Nun bin ich hier also gelandet, in der Touristenhölle. Gefangen durch eine winzige Unachtsamkeit meinerseits, nämlich nicht extra die aktuelle Hotelbeschreibung gelesen zu haben, bevor ich meine Buchung mit einem Klick losschickte. Der Klick ins Unglück sozusagen. Weil ich ja eh schon alles kannte und eh schon alles wusste…

Fragen des Tages: soll ich Rotz und Wasser weinen und hat mein Leben noch einen Sinn?




Tag 2:

Ich renne kurz vor Sonnenaufgang über die Brizzzz, um zum Meer und zu den heiß begehrten Liegen zu kommen, bewaffnet mit meinem Badetuch, das ich sogleich auf ein gerade noch zu ergatterndes Bett werfe, um mir wenigstens heute einen Platz an der Sonne zu reservieren.

Beim Frühstück rammt mich ein Herr, der mit bloßem Oberkörper seinen Kaffffffe zu sich nimmt. Auf der Höhe seiner Leber und schräg über die Nieren bis hin zu Tiefen, in die ich in meinem ganzen Leben nicht vordringen möchte, hat er seine Heimatstadt Nürnberg mit Fachwerkbauten samt Christkindlmarkt tätowiert, seine Frau ist goldbraun von der Sonne durchgebraten und ich stehe daneben wie ein Gespenst, fast schon bläulich schimmernd in dieser unbarmherzigen griechischen Himmelsbeleuchtung. Der Herr rülpst nach getaner Essensaufnahme.

Am Strand spielen zwei Kinder mit Biergläsern aus der Bar vom „Building E“ und bauen damit Sand-Glas-Burgen. Dahinter essen die Eltern Gyros von Plastiktellern, die sie anschließend gewissenhaft mit ein paar Zigarettenstummeln im Sand vergraben.

Ich habe genug für heute, gieße mir einen Ouzo hinter die Binde und schaue Deutsches Fernsehen, während die Techno-Klänge von zwei Bars in Stereo auf mein Zimmer dröhnen und ich meine Wunden lecke, denn meine noble Blässe ist am Nachmittag einem dezenten Feuerrot gewichen. Den Eigenschutz von 7 Minuten habe ich um 4 Stunden, 23 Minuten überschritten, bravo Kriselinde!

Fragen des Tages: wie lange können eigentlich fünf Tage noch sein und löst sich verbrannte Haut als Ganzes oder in kleinen Stückchen?



3. Tag:

Im Morgengrauen quere ich die Brizzzz, lege das Handtuch auf die Liege am Meer, remple – sicher versehentlich – eine Mieze im neon-gelben String-Tanga, als sie sich vor mir ein Bier schnappt und ich schon wieder nur den Schaum im Glas habe. Ist es nicht noch zu früh für einen Gerstensaft, schießt es mir durch den Kopf, aber dann sind bald alle Zweifel weg: die anderen trinken ja auch. Der Fachwerktyp aus Nürnberg hat um 8:30 Uhr schon sein drittes Bier und sein 6-jähriger Sohn wischt sich gerade den Schaum von seinem Mäulchen, er durfte schließlich Vaddern erfolgreich bei der Vertilgung helfen. Dann randaliert es sich gleich besser, er beginnt eine Schlammschlacht mit einem polnischen Jungen, dessen größter Gatschhaufen direkt auf meiner Liege landet. Ich werfe ihnen – sicher versehentlich - ein bemerkenswertes Stück davon zurück und erwische dabei die Pobacken einer Muddi, deren gute Zeiten auch schon länger vorbei sind. Aber was soll’s, jetzt wird’s eben mal richtig lustig hier. Immer in der Sonne brutzeln ist ja auch öd. Zur Belohnung, dass ich mich so tapfer gewehrt habe, gönne ich mir noch vor dem Mittagessen 3 Ouzos on the rocks, auch eher versehentlich, wollte eigentlich ein stilles Mineral…

Am Nachmittag steht ein Ausflug auf dem Programm: das Schloss von Sissi. Die österreichische Kaiserin war ja gerne auf Korfu, ließ sich hier in einer Hafenkneipe einen Anker auf die Schulter tätowieren. Für ein Fachwerkthema war sie offensichtlich zu feig, die Gute!

Am Abend sehen MEINE Schultern übrigens aus, als ob ich den ganzen Tag am Grill gehangen hätte.

Fragen des Tages: Was mache ich eigentlich hier und kann mich bitte wer erschießen?



Tag 4:

Ich sch… auf die Brizzzzzzz, schlafe mich aus, nehme am späten Vormittag einen anderen Weg zum Strand, werfe die paar fremden Handtücher von meiner angestammten Liege direttissimo hinter mir in Sand, verbuddle sie – sicher versehentlich - zwischen den Plastiktellern und den Zigarettenstummeln und gönne mir und meinem knallroten Wamperl Gyros mit Bier zum Frühstück.

Habe dann schließlich bis zum Nachmittag genug Alk im Blut, dass ich mich vom Barhocker aus Building C kaum mehr richtig erheben kann und schwankend, den Kopf zur Techno-Musik beutelnd ins Zimmer torkele. Dort wird mal richtig ausgeschlafen, so ein Urlaub ist doch wirklich was Schönes!

Am Abend mache ich – sicher versehentlich - einen Ausflug an den Hafen. Dort gibt es viele Tattoo-Studios.

Fragen des Tages: Verändert Alkohol Psyche und Charakter und kann man Tattoos eigentlich abwaschen?



Tag 5:

Ein letztes Mal über die Brizzzzzz, ich winke dem Nürnberger freundlich zum Abschied zu, gebe dem Rezeptionisten ein angemessenes Trinkgeld, obwohl er mich aufgrund meiner aktuellen Hautfarbe (saftiges Schweinsrosa mit violetten Einblutungen) nicht zu kennen scheint, gieße mir zwei Ouzos als Frühstück in meinen Suppenschlitz und zeige einem Kleinkind – sicher versehentlich - meine Pobacken. Es läuft kreischend davon. Danach remple ich 7 Leute an, damit ich als Wegzehrung noch ein paar Gyros-Futzerl ergattern kann, bevor wieder das lahme Kuchenbuffet eröffnet wird und ich steige irgendwie widerwillig in den Transferbus, der mich zum Flughafen bringt.

War doch schön hier! So ein großes Hotel, so gute Stimmung, so viel zu essen und zu trinken, so nette Leute! Ob ich nicht nächstes Jahr wieder hierherfahren sollte, schießt es mir durch den Kopf und ich bemerke, dass dies wohl die dümmste aller mir in dieser Woche gestellten Fragen war.

Ich habe jetzt übrigens den Hauptplatz von Leoben samt Christkindlmarkt rechts unter meinem hängenden Gesäß tätowiert. Dieser ist bei Bedarf anzuschauen. In Echt, mein ich natürlich…

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