Maturaball
Meine Tochter hat Maturaball. Kinder, wie die Zeit
vergeht! Noch wackelte ich mit ihr im Kinderwagen schnaufend meinen Hügel hoch,
während sie vor sich hin brabbelnd an ihren Jackenknöpfchen zupfte und schon
bald würde sie im weißen Kleid ihr Tanzbein schwingen. Apropos Kleid: Man kann
auf so einen Ball ja nicht etwa mit Jazz Pants und Sweater auftauchen, das ist
ja schon mal der erste Haken an so einem Event. Ich brauche also ein Kleid. Ein
anständiges. Ein elegantes. Es sollte vieles können: es sollte die
Fledermausarme kaschieren - gar nicht auszudenken was passiert, wenn ich dem
Töchterchen im Getümmel zuwinken wollte und der Unterarm streift schwabbelnd das
Weinglas! Auch sollte es die Leibesmitte so darstellen, dass man mir nicht
versehentlich zum vierten Kind gratulieren wollte, und es muss zu meinen
Schuhen passen, die aus Jesus-Sandalchen mit Schnürriemen bestehen, weil ich nur
darin den rechten, viel kleineren Fuß festzurren kann und weil eine Freundin
(danke, A.!) mir sagte, meine Lieblings-Waldvierter-Schuhe seien in diesem Fall
nicht angebracht. Ujujui – soviel zu bedenken und zu behirnen. Oder sollte mich
das alles gar nicht tangieren? Sollte ich nicht so oberflächlich sein und ohne mit
der Wimper zu zucken mein Wohlstandsbaucherl raushängen lassen und mit meinen
Fledermausärmeln und meinen Gleichgewichtsstörungen bei Gelegenheit gleich den
ganzen Tisch mit einem Wisch abräumen?
Auf weiteres Anraten einer Freundin (danke, A.!) suche
ich mich durch ganz Emezon und lasse mir mal 4 Galaroben, die dort „Brautjungfernkleider“
genannt werden, zuschicken, um sie anzuprobieren. Das erste Päckchen kommt auch
prompt, es ist aus Singapur. Ich schlüpfe in das Kleid, es ist mir nicht
möglich das vermeintliche XL-Dress auch nur über meinen Lockenkopf zu pressen,
von der Taille ganz zu schweigen. Retourschein angefordert, folgende Antwort
erhalten:
„Es
tut uns leid, die Größe nicht passt, obwohl wir in Produktbeschreibung klar
gezeigt. wir werden unsere Kunden zufrieden sein zu lassen. weil internationale
Versandkosten, das ist nicht die beste Lösung. Sie haben Freund, dem passt
Kleid.“
Nein, hab ich nicht. Mir fällt kein einziger Mann in
meinem Freundeskreis ein, dem dieses Kleid passen würde. Habe d’Ehre, was mach
ich nun mit diesem Miniatur-Barbie-Fetzen?
Dann kommt die nächste Botschaft vom nächsten Händler,
diesmal aus Taiwan: „Sie geben
Masse. Wir machen Kleid.“ Ujegerl! Eine Maßanfertigung! Und wenn sich das nicht
ausgeht bis zum Ball? Oder wenn es mir dann nicht gefällt? Oder ich darin wie
eine Walküre ausseh? Ich storniere sofort meine Bestellung, noch am selben Tag
kommt eine Mail:
„Aus welchem Grund moechten Sie Kleid stornieren?
Wegen der Massebestaetigung oder? Machen Sie sich nichts Sorge. Fuer
Massanfertigung keine Einfluss fuer die Ruecksendung. Bitte um kurze beantwort.“
Ich beantwort es kurz und mache denen am anderen
Ende der Welt klar, dass ich mich über ihr Kleidl nicht drübertrau.
Eine Woche später nun wieder ein
verheißungsvolles Packerl: In dieser Robe sehe ich aus wie eine
Gottesanbeterin. Nicht wie eine Göttin. Nein, wie der Heuschreck, vor dem sich
die Männchen fürchten. Retourschein anfordern, jetzt bin ich ja schon in Übung.
Die Antwort folgt prompt aus Indien:
„Hier ist mein Vorschlag, unser Preis weniger ist 10%, wenn Sie das Kleid
haben, dann Sie bei der Schneiderin anders, ging das?“
Nein, das ging nicht. Denn die Schneiderin ist ja keine Zauberin. Aus
einem männerfressenden Viech kann man schließlich keine Gottheit machen.
Ja, gibt’s denn das auch! Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich
zuletzt, gleich nach der Fangschrecken-Kopulation.
Und da ist es auch schon: das vierte Packerl trifft
pünktlich ein, ich schlüpfe ins Kleid und es passt wie angegossen! Herrlich!
Rot, lang, eine Spitze umspielt sanft die Fledermaushanderl, die Leibesmitte
hat ah drinnen Platz. Ach, wie bin ich froh! Doch hat natürlich auch dieses
Kleid seine Tücken, das sei schon mal vorweggenommen.
Bevor es auf den Ball geht, mach ich kurz einen
finanziellen Überschlag: habe mir also 4 Kleider gekauft, bezahlt und mit
diversen hohen Versandkosten rund um die Welt zurückgeschickt. Natürlich hab
ich bis jetzt keinen Cent/Rupie/Dollar zurückbekommen, sodass ich sagen kann,
mein aktuelles Ballkleid war das teuerste, das ich mir in meinem Leben je
kaufte.
Auf dem Ball angekommen und im Festsaal Platz
genommen, zieh ich mir mit meinem Gesäß auch gleich den Rückenteil kräftig nach
unten, sodass ich nach kurzer Zeit im BH dasitze. Eine Freundin (danke, A.!)
macht mich darauf aufmerksam und versucht es mir erfolglos mit Leibeskräften
zurück hinauf zu schieben.
Der Ball ist wunderbar, mein Mädchen tanzt und
vollführt akrobatische Hebefiguren, wonach ich mich über eine Treppe auf die
Toilette schleppe – im wahrsten Sinn des Wortes, denn das Kleid wird immer
länger und verheddert sich mit den Riemchensandalen, sodass ich es aufheben und
in einem dicken Wurstelknoten über die Stiege ziehen muss. Noch bevor ich meine
Notdurft verrichten kann, reiß ich im Zuge einer
Kleid-Sandalen-Befreiungsaktion drei Riemen aus den Schuhen und vier Löcher ins
Kleid. Bergauf geht die Sache etwas leichter, bilde ich mir zumindest ein, bis
besagte Freundin (danke, A.!) hinter mir herrennt und wieder am Rücken peinlich
berührt zu zupfen beginnt: „Dir schaut der gaunze BH aussa und den Popsch siecht
ma a schon!“, keucht sie mir auf der Stiege nach. Mir wird’s jetzt langsam
wurscht, was hab ich noch zu verlieren?
Offensichtlich einiges, denn als ich mich zum
Kuchenbuffet begebe, beginnt sich jener Teil von unten aufzulösen, in den ich
in der Toilette die Löcher gerissen habe, sodass ich mit einer Art ungewollter
Schärpe zurück in den Ballsaal humple, meine aufmerksame Freundin (danke, A.!)
wieder hinter mir her, diesmal schon puterrot vor lauter Fremdschämen. Ich
sitze zufrieden am Tisch mit meinem vollen Baucherl, worüber sich jetzt auch
noch der Unterteil des Kleides zu wölben beginnt, während sich die obere Spitze
immer fester um den Hals dreht und mich fast abwürgt. Gut, dass wir
anschließend Fototermin im Keller haben, jetzt muss ich wirklich wieder mal
aufstehen. Der Fetzen ist in der Zwischenzeit um ein zweifaches gewachsen, der
Stiegenabstieg hat was von einem Festakt. Wir kommen deshalb 10 Minuten zu
spät. Der Fotograf ist peinlich berührt, es muss eine zweite
Hintergrundleinwand aufgestellt werden, da Schärpe und Spitzen samt der gesamten
neben mir verschwindend kleinen Verwandtschaft nicht genug Platz haben würden.
Ein unvergessliches Ballerlebnis!
Abschließender Bericht vom Fotografen: man musste sich
ein neues Fotobearbeitungsprogramm zulegen, damit man meine Unterwäsche
wegretuschieren, die Schärpe mit den Löchern ausbessern und mein Dekolletee
freilegen konnte.
Abschließender Bericht meinerseits: Ich fand eine
Schneiderin, die aus diesem Kleid insgesamt 3 neue machen konnte. Meine
Freundin A. bekommt ganz sicher eines und zwei männliche Freunde in meinem
Bekanntenkreis treib ich auch noch auf, denen ich eines andrehen kann. Dann ist
auch Singapur zufrieden.
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