Omis Vitrine
Wenn
ich meine Omi besuchte, machte ich es mir stets auf einer Stufe vor dem
riesigen Wohnzimmerfenster gemütlich, denn in einer Ecke hinter dem Vorhang
hatte Omi ihr Naschkasterl. Knabbergebäck war damals nämlich eine Seltenheit. Ob
nur ich dies so empfand, weil man mir relativ gesundes Essen vorsetzte – von
den Punschkrapferln und anderen alkoholischen Süßigkeiten mal abgesehen – oder
ob es damals noch nicht so Usus war, dass man sich für jeden Fernsehabend mit
Chips und Co eindeckte, weiß ich nicht, auf jeden Fall hatte Omi immer eine
Packung Kartoffelchips auf Lager, von denen ich mir gelegentlich ein paar
einverleiben durfte. Nicht viele, denn ich empfand sie als Kind eh als zu
salzig, aber ein paar naschte ich schon, während ich auf erwähnter Stufe saß, auf
der ich in Augenhöhe eine Glasvitrine sah. In diese starrte ich beim Knabbern gerne,
denn dort befand sich ein Sammelsurium an Sachen. Undefinierbar
zusammengewürfelte Sachen, die miteinander keinen Sinn ergaben, einzeln
betrachtet aber ein jedes Ding seine Geschichte erzählte.
Da
war einmal ein kleiner Kalender aus Pappe mit 31 kleinen Zetteln mit Ziffern, an
denen man täglich das Datum ändern konnte. Es gab noch keine Handys,
Steuerungsgeräte, Computer, Herde oder Geschirrspüler, von denen das aktuelle
Datum ablesbar war, wie es heutzutage üblich ist. Da musste man noch mühsam das
Vitrinenglas zu Seite schieben und jeden Tag von Hand ordnungsgemäß willkommen
heißen.
Daneben
lag eine Muschel. Eine riesige, wunderschöne Muschel, in der man – glaubt es
mir oder nicht – das Meer rauschen hat hören können. Wirklich! Das war dort
drinnen, man hielt sie mir manchmal, wenn ich das Chipssackerl brav wieder
verschloss, an mein kleines Ohr und ich hörte das Meer. Aus, Basta.
Omi
hatte auch eine Ein-Dollarnote in ihrem Schränkchen. Eine „Silver Certificate“
aus dem Jahre 1923. Mit George Washington, dem ersten Präsidenten der USA
darauf. Das wusste ich damals aber noch nicht, während ich lautstark meine
Chips zerbiss und den ganzen Boden vollbröselte. Ich kannte bestenfalls den
Carl Ritter von Ghega, aber auch nur, weil er so schöne Locken hatte und auf
dem 20-Schilling-Schein war, den ich manchmal als kleines Taschengeld bekam.
Was
natürlich auch nicht fehlen durfte, war die obligatorische Schneekugel, die mal
irgendwer irgendwoher gebracht hatte und die ich mit den fettigen Chipsgriffeln
nicht berühren durfte. Dafür musste ich sie mir extra waschen, um dann den
Großglockner im Schnee zu sehen. Den hatte nämlich Omilein in ihrer Kugel, ohne
jemals selber dort gewesen zu sein.
Auch
sehr faszinierte mich immer eine Flasche Cherry Brandy, die eine Ummantelung
aus Jute hatte, woran eine Plastikkirsche hing. So eine schöne Kirsche! Sie
erinnerte mich an ein Dosenkompott mit gemischten Früchten, worin sich nur eine
halbe, entkernte Kirsche befand, die aber äußert süß und chemisch schmeckte.
Also für ein Kind ganz wunderprächtig. Des Weiteren fanden sich in Omas Vitrine
mehrere bunte Cherrygläser und kleine Plastikspießchen.
Ob
sie die jemals benutzte? Ob sie damit heiße, ausgelassene Partys feierte? Woher
hatte sie die Muschel? Aus der Südsee? Und wie, um alles in der Welt, war sie
an diese Dollarnote gekommen? Die Antworten werde ich wohl nie erhalten, da ich
es damals verabsäumte, mich über meinen fettigen Chipssackerl-Rand zu erheben
und meinen Horizont zu erweitern.
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