Viechereien


Der Hühnerstall meiner Oma

Diese Hühner! Schon immer stand ich fasziniert vor den Henderln meiner Oma und beobachtete, wie die Federn durch den lichtdurchfluteten Stall flogen und die einzelnen Staubkörnchen durcheinandergewirbelt wurden, wenn sie ordentlich aufbegehrten. Dem dahinbrabbelnden Gackern, das Musik in meinen Ohren war, lauschte ich gerne, es beruhigte mich. Aber auch die aufgeregten Laute, die sie nach dem Absetzen eines Eies oder irgendeiner Unregelmäßigkeit im Stall von sich gaben, gefielen mir. Kurzum: Ich liebe Hühner!

Nicht so meine Mama. Mit ihr hatte ich manchmal die Aufgabe, das Federvieh vom Hühnergarten abends in den Stall zu lassen und dort zu füttern. Oder am Morgen. Dann war das Prozedere dasselbe, nur in umgekehrter Reihenfolge. Und das auch nur, wenn Oma nicht zuhause war. Sie hatte früher Ziegen, ein Schwein, Hasen, einige Hühner, eine Katze und Meerschweinchen. Letztere liefen allerdings irgendwann mal bei einem Freigang in der Dämmerung unter einen Holzstoß und wurden seitdem nie mehr gesichtet, das richtige Schwein überlebte den Winter 1975/76, in dem es sehr viele Schmalzbrote mit Himbeersaft gab, nicht, und die Ziegen und Hasen landeten zizerlweis auch am Teller, weil meiner Oma die kleinkeuschlerische Landwirtschaft mit den Jahren zu viel wurde. Sie behielt die Hühner und die Katze und machte stattdessen Pfarrausflüge mit Rosenkranz-Retreats.

Mama rannte an solchen Tagen also pflichtbewusst und wild entschlossen zum Türl des Hühnerstalls, öffnete den Schieber, ließ einen spitzen Schrei los und rannte verkehrt, die Hände schützend über ihre schwarzen Locken haltend, ins Freie, während ich fasziniert vor dem Hühnervolk stand und beobachtend gar nicht genug davon kriegen konnte.

Wenn man am Land aufwächst, hat man es unwillkürlich mit sehr vielen Viechern zu tun. Seien es Haus- und Stalltiere oder nur das übliche Getier, das einem so den ganzen Tag ins Zimmer krabbelt oder fliegt, während man hysterisch den Vater holt, der dann die Mutter ruft, die dann entweder gleich laut schreit wie das Kind, sofern es sich um einen Grashüpfer handelt. Oder eben das Tier souverän wieder ins Freie setzt.

In unserer Familie war dies eine eher situationselastische Sache. Mal hatte Vaddern die Hose voll und delegierte das Entfernen von Spinnen an die weibliche Belegschaft, mal schrie Muttern um Hilfe und rannte um ihr Leben. Irgendwann hatte man sich dann auf einen Fliegenfänger geeinigt, der auch manch anderes Kleintier mit in den Tod nahm. Es handelte sich dabei um ein wie eine Riesenlocke gedrehtes Klebeband, auf dem die Fliegen picken blieben und irgendwann ermattet oder vergiftet ihr Leben ließen. Kurzum: mit den Viechern hatten wir es – bis auf Oma – alle nicht so. Deshalb wurde auch nie ernsthaft über ein richtiges Haustier nachgedacht.

Natürlich entstand bei mir aber irgendwann mal der Wunsch nach eigenen Hühnern. Die könnte ich im Stall von Oma einquartieren, dort würden sie niemanden stören und auch der Fliegenfänger wäre keine ernstzunehmende Gefahr für sie.


Die Hühner bekam ich prompt, damit waren meine Eltern gleich einverstanden. Aber nicht einfach nur ordinäre Hendl – nein! – Zwerghühner mussten es sein. Hahn Seppi und zwei Hennen, Trudi und Fipsi. Der Hahn war klein, aufgeweckt, potent und sehr grob zu seinen Damen. Er pickte ihnen fast die gesamten Federn vom Kopf, wenn er zum Geschlechtsakt anzielte. Aber ich fand ihn entzückend. Auch Fipsi war mehr als süß: ein braunes, kleines Ding, das vor sich hingackerte bzw. eher fiepte, weshalb es von mir diesen Namen bekam.

Einzig Trudi war etwas seltsam: zwar war sie wunderbar weiß, kerngesund und nett, doch sie war riesig. Von „Zwerghuhn“ weit entfernt. Sie hatte einen Rokoko-Popsch, der seinesgleichen sucht. Seppi hatte große Mühe, sich bei seinen ehelichen Pflichten oben zu halten, wenn sie mit ihrem Hinterteil wackelte und ihn dabei fast abwarf. Ob uns der Zoohändler damals betrogen hatte, weil er uns nur 33,3 periodische Prozent Zwerghuhn verkaufte, weiß ich nicht, wir akzeptierten das arme große Ding eben irgendwann so wie es war.

Was das Eierlegen und die Fortpflanzung betraf, so kann man das Ganze mit der Überschrift betiteln: „Viel Lärm um Nichts“. Trudi legte zeitlebens kein einziges Ei und Fipsi ganze drei Stück. Kleine süße Mini-Eier, die aber zu schade zum Essen gewesen wären. Ich behielt sie in einem ebenso kleinen Schachterl in meiner Spielhütte unter dem Sandkasten-Kochgeschirr auf.

Auch gar nicht so einfach für mich, war die Tatsache, dass man solche Hühner gar nicht so richtig streicheln und liebhaben kann, denn die mögen das nicht wirklich. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte! Ich fing sie ein, hielt ihre Flügel fest an den Körper gepresst und streichelte über ihren Kopf, nämlich genau dort, wo Seppi ihnen schon x-mal reingepickt hatte. Das gefiel ihnen nicht. Weder die in Schach gehaltenen Flügel, noch die Wischerei über ihr demoliertes Federkleid. Nachdem ich begriffen hatte, dass ich einzig und allein mit Futter punkten konnte, fütterte ich Fipsi und Co inmitten der anderen Hühner hockend mit einzelnen Körnern.

Man kann sich wohl vorstellen, dass dies keine sehr gute Idee war und unweigerlich ein böses Ende nehmen musste, da natürlich nicht nur die 3 Zwerge das Futter wollten, sondern auch alle anderen Hendel angerannt kamen. Eines von ihnen pickte mir in ihrem Futterneid sogar ins linke Auge. Damit war für mich das Maß voll. Ich fuhr schmerzentbrannt aus der Hocke hoch und mit tränendem Auge raus aus dem Stall. Seitdem war ich etwas vorsichtiger mit meiner körperlichen Tierliebe.

Was aus dem Mini-Hühnervolk letztendlich wurde? Ich muss gestehen, ich weiß es nicht. Irgendwie dürfte sich meine Lust auf Hendeln dann verflogen haben und das Schicksal hat seinen Lauf genommen. Ob wir sie jemals auf unseren Tellern hatten oder sie den nächsten kalten Winter nicht überlebten, bleibt ein Geheimnis, das meine Altvorderen ins Grab mitgenommen haben.

 

Der Nachbarshund

Apropos Grab: die ganze Familie stellt sich am Allerheiligen-Tag am Friedhof ein, die Cousins und Cousinen reisen mit ihren Nachkommen an, das Dorfvolk präsentiert das erste Mal seine Pelzmäntel und neue Wintertrachten bei der Parade zwischen den letzten Ruhestätten, dem Kriegerdenkmal und der Leichenhalle und anschließend wird zu Oma ins Haus gefahren, um sich das legendäre Allerheiligenkoch mit Zwetschgen-Holler-Röster einzuverleiben. Also nur die Verwandten, nicht das ganze pelzige Dorfvolk. So will es die Tradition. Und man isst natürlich nicht einen richtigen Koch, sondern ein breiartiges, sogenanntes Schmalz-Holzhacker-Gries-Koch.

Da eines schönen Allerheiligen-Tages in den 70ern nicht nur der gesamte Ort, sondern auch meine ganze Verwandtschaft am friedhöflichen Catwalk teilnahm, hatten die Mäuse unterdessen zuhause Kirtag. Und leider nicht nur die Mäuse, sondern im Speziellen auch der Nachbarshund. Der schaute sich nämlich mal in Omas Garten um und verschaffte sich irgendwie Zutritt zu den Hühnern, die er leider in einem Blutrausch der besonderen Art jagte und hinrichtete.

Als wir denn nun in freudiger Erwartung zum Koch-Essen zurückkamen, bot sich uns ein Bild des Schreckens: der Hund tobte noch in der einen Ecke des Gartens, während auf dem Grundstück verteilt gut die halbe Hühnerschar blutend und mit durchgebissener Kehle herumlag. Der Appetit war uns gehörig vergangen, und mein Vater verbrachte den restlichen Feiertag mit dem Eingraben des Hühnervolks.

Die restliche Kindheit und Jugend verbrachte ich fürderhin eher nach dem Motto von meiner Freundin Karin, die des Öfteren in einer gottgegebenen Spiritualität und Vorahnung ausrief: „I fürcht mi vor die Hunden!“

Nichts desto trotz blieb ich aber stets mit Hühnern verbunden, denn auch den Namen „die hinkende Lotta“ leitete ich aus einer Geschichte über Michel von Lönneberga von Astrid Lindgren ab, der eine hinkende Henne vor dem Schlachten rettete, die sich dann als beste Legehenne im Stall erwies.

Meine Katze

Oma hatte, wie gesagt, aber auch eine Katze. Ein alte schwarz-weiße, sehr liebe Stallkatze. Die durfte nicht ins Haus, sie hatte ihren Platz vor dem Saustall im Übergangszimmer zu den Hühner- und Ziegenresidenzen. Täglich bekam sie dort ein Schälchen Milch mit eingebrocktem harten Brot und geschlafen hat sie auf einem alten Kotzen neben den Spinnweben unter dem einzigen Fenster im Raum. Aus heutiger Sicht ein ernährungstechnischer Wahnsinn, einer Katze Kuhmilch und Brot zu geben, doch sie lebte gut und glücklich und hatte wahrscheinlich auch keinerlei Nährstoffmangel, da sie tat, wozu man sie in einer Landwirtschaft hielt: nämlich Mäusefangen. Und sie aß diese natürlich auch, wie es ihrem normalen Instinkt entsprach. Einzig das Gewölle spie sie wieder hoch und legte es uns Kindern manchmal unter unsere Sand-Spielsachen.


Das Kätzchen hatte irgendwie keinen Namen. Das war offensichtlich meiner Oma nicht wichtig. Wenn sie sie rief, schrie Oma laut: „Mutzi-Mutzi-Mutz-Mutz-Mutz!“ oder alternierend: „Miez-Miez-Miez!“ Und sie kam. Also wofür sich auch einen stupiden anderen Namen ausdenken.

Ich mochte die Katze sehr, doch fiel es mir anfangs der Pubertät zunehmend schwerer, sie zu streicheln, da mich anschließend immer die Augen juckten, ich sie zu reiben begann und dann eine Entzündung samt Nies- und Hustenanfällen folgte. Heute würde man sofort auf die Diagnose, nämlich eine Allergie, kommen, damals liefen noch die Frauen in der Straße zusammen und beratschlagten, was das humpelnde Mädchen denn nun schon wieder hat. Man kam zizerlweis dahinter, dass die einzige Lösung nur sein konnte, die Katze nicht mehr zu streicheln. Wahrscheinlich sah man mal einen Bericht im Bildungsfernsehen darüber. In der Sendung „WIR“, beim Seniorenclub oder beim Heinz Conrads.

Mir tat und tut noch immer im Herzen leid, dass ich seitdem eine Katzenallergie habe, nichts lieber hätte ich als eigene Kätzchen.

Leider endete das Schicksal unserer Mutzi-Miez auch recht brachial. Sie war irgendwann alt, schwach und krank, weshalb man einen befreundeten Jäger rief, mich ins Haus schickte und der Katze auf der Wiese neben dem Holzstoß ein Schälchen Milch mit hartem Brot gab. Der Schuss, der folgte, klingt noch heute in meinen Ohren.

Ich habe das Katzerl seltsamer Weise nie wieder gesehen.

 

Milch holen

Milch produzierten die Geißen meiner Großmutter zu wenig, um die Familie zu ernähren, bzw. verweigerte Mama ohnehin alle Ziegenprodukte, weshalb wir immer zur Kohlleitner Susi Milch holen gegangen sind. Jeden Abend. Mit einer kleinen rotbraunen Kanne aus Email mit einem Holzgriff und einem windschiefen Deckel. Wenn ich das heute meinen Kindern erzähle, schütteln sie den Kopf und fragen, ob es denn damals, in den Siebzigern, schon E-Mails gegeben hätte und ob ich da nicht irgendwas durcheinanderbringen würde. So geben sie mir noch mehr das Gefühl, richtig alt und weg vom Fenster zu sein.

Nun denn, sie haben ja nicht ganz unrecht, meine Kids. Drei sind es an der Zahl und mittlerweile sind sie schon erwachsen, erkennen besser die Zusammenhänge des Lebens und sind auch immer wieder interessiert an den alten Geschichten, wobei sie sich nicht ganz vorstellen können, dass auch ich mal ein Kind oder gar ein Teenager gewesen bin.

In den Siebziger und Achtziger Jahren, dort drinnen, im „Grobn“, wuchs ich in einem kleinen Ort in einem kleinen Holzhaus auf, umringt von meinen Eltern, Großmüttern, Opa, Onkeln und Tanten. Und natürlich mit von der Partie – wenn auch nur in meinem Kopf - Frau Krönlein und Frau Spinada, meine Strichmännchen-Damen, die in frühester Kindheit sehr wach in meiner Fantasie mit mir mitlebten. Vielleicht geschah dies in Ermangelung von Geschwistern, vielleicht weil ich schon immer sehr viel visuelle Vorstellungskraft hatte oder weil ich eben einfach einen Klopfer hab. Ich will es gar nicht wissen.

Mit einer anderen Sache bin ich seit damals auch beschäftigt, nämlich einer angeborenen körperlichen Einschränkung. Zu wenig Sauerstoff kam bei der Geburt in mein Hirn, was meine Nervenzellen dermaßen schädigte, dass ich eine infantile Zerebralparese bekam, besser bekannt als spastische Lähmung. Ich merkte am Anfang ja gar nichts davon, denn mir kam alles völlig normal vor: ich konnte gehen, sehen, riechen, greifen, lachen, weinen, fühlen, hören, schmecken. Doch irgendwann sagte man mir, dass ich nicht „schön“ gehen würde, dass ich das nicht könne und dass dies nicht normal sei. Und die einen waren bemüht, mich zu Therapeuten zu karren, die anderen mich auszulachen – je nachdem um wen es sich handelte und ob derjenige Charakter hatte oder nicht. Es war keine sehr lustige Zeit und sie hat mich sicher sehr geprägt.

Aber so schnell gab und gebe ich mich nicht geschlagen, schließlich bin ich ja mit der Milch von der Kohlleitner Susi groß geworden. Kuhmilch. Echte Kuhmilch, die beim Kochen – und die musste man kochen, hat die Mama gesagt – so eine richtig grauslich dicke Haut produziert hat, die die Erwachsenen abgelöffelt haben und die ihnen dann in kleinen weißen Fetzen und Fasern aus den Mundwinkeln gestanden und von den Bärten gehangen sind. Und „mmmmhhhhmmm!“ haben sie gesagt dabei und mich hat’s gereckt am anderen Ende des Tisches.


Das Milchkammerl auf der Kohlleitner Susi ihrem Bauernhof hat gestunken. Himmel! Was für ein beißender Geruch. Eine Mischung aus Ammoniak, saurer, verschütteter Milch und Kuhmist, der sich mit Erde und, wenn es geregnet hat, mit Regenwürmern auf dem Lehmboden mischte. Das Kammerl war nur durch eine zugige Tür von der rauen Witterung in meinem Tal getrennt, was wahrscheinlich für die Luftzirkulation eh nur von Vorteil war.

Egal! Die Milch war nährend, es ist ein Mordstrumm-Weib aus mir geworden. Und die drei ausgedienten Milchkannen, die die letzten 40 Jahre überstanden haben, hängen heute noch im Freien als Zierde in meinem Garten. Wenn ich in sie reinschaue, rieche ich noch immer einen Teil meiner Kindheit. Den von der Kohlleitner Susi.

 

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