Krank

 

Kranksein ist nicht schön, damals nicht wie heute. Doch irgendwie habe ich meine grippalen Infekte von früher intensiver und langwieriger in Erinnerung, als ich sie als Erwachsene habe.

Mit dem ersten Gruseln, sprich Schüttelfrost, wurde ich von Muttern auf Anraten der beiden Großmütter, die auch immer mit ihrem medizinischen Halbwissen beiseite standen, sofort ins Bett mit mehreren Decken gesteckt, bis ich meistens hoch hinauffieberte. Für die Nacht bekam ich wahlweise ein Kren-Ketterl oder Essig-Patscherl, während ich vor mich hin fantasierte und von abgebrochenen Geweihen träumte, die ich essen musste. Vielleicht etwas für den Psychoanalytiker. Mag sein. In diesem Fall aber Zeit für die Naturmedizin aus dem Hause Lotta.


Kren-Ketterl? Essig-Patscherl? Das „Mexalen“ der 70er! Eine fiebersenkende Naturmethode, bei der man entweder alte Lumpen und Handtücher in Essigwasser tauchte und dem Patienten um die Füße wickelte oder wo man eine große Krenwurzen in kleine Scheiben schnitt, diese auf einen Spagat auffädelte, dem Kind um den Hals band und hoffte, dass es am nächsten Morgen fieberfrei wieder aufwachte und sich in der Nacht damit nicht erwürgte.

Wenn sich dann noch zu allem Übel ein anständiger Husten dazu gesellte, gab es Zwiebelschmalz. Grausliches, verabscheuungswürdiges Zwiebelschmalz, bei dessen Verzehr man mehr mit dem Brech-, als mit dem Hustenreiz zu kämpfen hatte. So war man beschäftigt und vergaß bald die wirklichen Probleme, nämlich die mit der Lunge.

Das Schönste war allerdings, wenn man mich essenstechnisch wieder aufzupäppeln versuchte. Mit Chadeau. Wein-Chadeau, um exakt zu sein. Ein Ei mit Wein schaumig gerührt. Jawohl. Wurscht, wie alt ich war. Und es wirkte. Und es schmeckte. Beschwipst und benebelt sah die Welt gleich wieder bunter aus. Sollte man sich mittels rohen Eies jedoch eine handfeste Salmonellen-Vergiftung eingefangen haben, gab es Wermut-Tee und Bibernellen-Schnaps. Eh nur ein bisserl, eh net zuviel. Entweder man erbrach aufgrund der Medizin noch mehr oder man war für Jahre geeicht auf sämtliche Viren, Bakterien und Schnäpse.

Aber egal wie der Genesungsfortschritt auch war: man musste das Bett hüten. Das war Voraussetzung um dem stets lauernden Tod zu entrinnen. Tagelang. Und wenn das Fieber weg war, noch ein paar Tage. 3 Tage fieberfrei im Bett, um exakt zu sein. Oder waren es fünf? Ich weiß es nicht mehr genau. Es waren unendlich langweilige Tage, in denen ich dann für meine mich pflegenden Damen anstrengend wurde. Ich wurde bockig, weil ich unterfordert war und ich machte freche Witze, weil ich vor Langeweile fast starb.

Wenn dann die Stammesälteste, meine Oma, sagte: „Jetzt wird sie kebig (=frech), i glaub, sie ist gesund“, dann durfte ich aufstehen und das Spektakel wurde offiziell für beendet erklärt.

Mit der Naturmethode wurde in meiner Familie so gut wie alles behandelt: Als ich mal mit den Lippen auf die Bettkante schlug, weil ich Trampolin spielte, schmierte man mir das durchgebissene Goscherl mit Schweineschmer ein, damit ich mir ersparte, genäht zu werden. Eine Zecke rieb man mit Petroleum ein, bis man selber ganz betäubt war und sie abfiel. Und die wackeligen Milchzähne wurden einem mittels irgendeiner Ablenkung etwa in Form des Hühnerbeobachten o.ä. mit den massiven Zeigefingern der Erwachsenen in den Mund hineingedrückt und somit rasch und heftig blutend entfernt. Dann wurde einem ein lautes „Indianer kennt keinen Schmerz!“ nachgerufen und gebetet, dass das Kind keine Blutvergiftung bekommt.

Und ja, richtig! Auch hier wurde ich als geheilt entlassen, sobald ich wieder aufmüpfig, „kebig“ oder angesoffen war.

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