Weihnachten

Weihnachten bei Tantchen. Wie jedes Jahr. Man wird zum Schmaus geladen. Dieses Mal in ein bodenständiges Wirtshaus in einer kleinen Ortschaft. Dorthin, wo uns jeder kennt – zumindest kommt mir das so vor.

Im Vorfeld gibt’s heftige Diskussionen über die Essenswünsche. Tantchen sagt mir am Telefon, sie freue sich auf ein Cordon Bleu in Mandelkruste und Eispalatschinken. Wir seien auch alle herzlich zu diesem Weihnachtsmenü eingeladen. Ich druckse vorsichtig herum, denn da gibt es einige unüberwindbare Hindernisse, für die das Tantchen aber keinerlei Verständnis zeigt: Zwei von uns sind Pescetarier, einer Vegetarier, einer hat eine Nuss/Mandel-Allergie, zwei eine Glutenunverträglichkeit, einer eine Laktoseintoleranz und zwei eine Katzenallergie. Aber letztere wird’s wohl kaum auf der Speisekarte geben. Ist ja ein gutbürgerliches Gasthaus, wie gesagt.

Da auch ich mich in diesen Unverträglichkeits-Gruppen wiederfinde, wären die fatalen Konsumationsfolgen, dass ich in der beschaulichen Ortschaft flatuliere wie ein Elch. Und dies gilt es tunlichst zu vermeiden…



Wir erscheinen am Parkplatz des Gasthofes 10 Minuten VOR der vereinbarten Uhrzeit und ich traue meinen Augen nicht, als ich meine Hufe aus dem Auto hieve: das reinste Glatteis, wohin das Auge reicht, lediglich alle 3 bis 4 Meter gespickt mit ein paar Kieselsteinen. Danke für Nix. Mein Jüngster versucht mich untergehackt ein paar Schritte zu führen, bis auch er das Gleichgewicht verliert und wir segelnd über Eis gleiten – Gott sei Dank ohne Sturz, nicht aber ohne im hübschen Winter-Gastgarten alle Augen auf uns gerichtet zu bekommen. Scheinbar aber nur.

Die sitzen da nämlich mit ihren Leberknödelsuppen, Schweinsbraten und Rüschenblusen und sind mit sich selbst so sehr beschäftigt, dass wir ihnen nicht mal ein hämisches Lächeln wert sind. Ihre Saftschnitzel und Tafelspitze sind ihnen weitaus wichtiger als die ausufernden Schritte der hinkenden Lotta.

Tantchen erscheint bereits an der Haustüre. Eine neue Hochsteckfrisur mit lila Schimmer, herausgeputzt im Kostümchen von Neunzehnhundert-Kreisky und im Blick großen Kummer. Wo wir denn so lange blieben, sie hätte sich schon Sorgen gemacht. Mit Recht, denn die ganze Autofahrt war nicht so risikoreich wie das Betreten dieses vereisten Parkplatzes.

In der Gaststube angekommen, werden wir von mehreren Tischen zwar mit flüchtigen Blicken gestreift, aber eigentlich sind eh alle beschäftigt mit ihren Eintropfsuppen, Surschnitzeln und Cremeschnitten. Ich bin enttäuscht. Ich hätte mir Applaus erwartet.

Die Holzbank in der Ecke ist eng und klein, ich stoße mit meinen Knien permanent an der Tischplatte an, meine neuen orthopädischen High Heels tragen das ihre zu meiner Größe bei und ich komme mir vor wie Gulliver bei den Zwergen. Zur großen Überraschung bietet das Wirtshaus eine passable Auswahl an vegetarischen Speisen, was uns sehr zufriedenstellt. Auch Tantchen freut sich, es findet genug Fleischiges.

Unser Tisch mampft zufrieden, die Kinder ziehen seltsame Gesichter und schicken sich davon Fotos am Handy zu, obwohl sie nebeneinander sitzen, Tantchen erzählt aus alten Zeiten und wundert sich über die neuen, die Kellnerin schüttelt den Kopf über die Regierung und am Nebentisch wird ein Kind zur Schnecke gemacht, weil es sich kurz auf die Bank legt.

Am anderen Tisch rülpst einer laut und streitet mit einem älteren Herrn ums Bezahlen, während sich eine Dame zu schminken beginnt und eine ältere Oma ihre Tabletten runterkippt. Sie wirft dabei den Kopf mehrmals in den Nacken wie ein Henderl beim Wassertrinken. Daneben brüllt ein Baby und die verzweifelten Eltern versuchen es zu beruhigen, gleich um die Ecke sitzt eine Horde Männer am Stammtisch und spielt lautstark Karten. Was für eine Idylle!

Tantchen fragt nach dem Beziehungsstatus eines jeden einzelnen von uns, bekrittelt die spärlich Bekleideten („Dirnderl, du wirst es Zipperlein kriegen!“), schüttelt zwischendurch den Kopf, weil sie den Englischsprachigen Ausdrücken meiner Kinder nicht mehr folgen kann und schiebt uns schließlich ein paar alte Silber-Schilling-Münzen unterm Tisch als Weihnachtsgeschenk zu.

Abschließend wird uns von der Wirtin ein Stamperl „Doppeltgebrannter“ serviert, was einige von uns ablehnen, weil der Eine im Advent auf jedem Christkindlmarkt war und sich hat volllaufen lassen, ein anderer niemals trinkt und dieses Gesöff gar nicht riechen kann und der Nächste der Autofahrer ist. Nur Tantchen, mein minderjähriger Sohn und ich greifen beherzt nach den Stamperln. Na bravo.

Bei gutem Wind und ohne selber windig zu sein, schlittern wir zum Abschied kichernd wieder übers Eis zurück zum Auto und freuen uns schon auf die nächsten Weihnachten mit Tantchen.

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