T(D)atendrang




Hochmut kommt vor dem Fall


„Nie mehr Schule“ trällerte der Falke - Gott hab ihn selig - vor über 30 Jahren und hatte leider Unrecht: Jetzt hat’s mich wieder erwischt. Ich drücke die Schulbank. Mit den gleichen Gefühlen wie damals, in ähnlicher Konstellation. Nur diesmal in Farbe, kein Schwarz-Weiß mehr: 11 Frauen und ein Hahn im Korb, 2 Tischgruppen zu je 6 Leuten, die aus völlig unerfindlichen Gründen miteinander konkurrieren, Pausen werden vorgegeben, Prüfungen werden durchgeführt, dann ein Abschlusszeugnis. Entschuldigungen bei Abwesenheit müssen zeitnah abgegeben werden, kein Tratschen, kein Essen während des Unterrichts, Alk auch nicht. Was für ein Leben! Fehlt nur noch ein Elternsprechtag….

Wie kommt‘s? Ein Angebot vom AMS, das ich natürlich dankend annehme: ich möchte einen Image Editing-Kurs machen, man checkt mich kurz durch und konstatiert, ich wäre genau die Richtige für einen ECDL Base. Auch gut. Obwohl…. Ich kann das ja alles ….oder zumindest vieles … einiges aber sicher …Na ja. Man soll ja schließlich nicht zu hoch hinaus wollen.

Die erste Stunde besteht aus einer Vorstellungsrunde, wo je 2 Kandidaten den dritten aufgrund seines Erscheinungsbildes einzukasteln und zu beurteilen versuchen: werde als ledige Religionslehrerin mit Hund und Hüftleiden, Mitte 50, eingestuft und hätte bitte gerne auf der Stelle einen Schnaps. Aber leider: Alkverbot im ganzen Gebäude. Siehe oben.

Wir beschließen, alle per Du zu sein. Außer mit der Kursleiterin. Und offensichtlich mit mir. Da ich zu den ältesten TeilnehmerInnen gehöre, siezen mich 6 der 11 KollegInnen. Auch das beschert mir wieder eine Rückführung in alte Schultage und vor mir läuft es in Schwarz-Weiß ab, wie ich anno dazumal „Oma“ genannt wurde: Von MitschülerInnen, von deren Eltern und zum Schluss auch von den Lehrern – meistens in der achten Stunde, wenn deren Konzentration und Etikette schon beim Teufel war.

Ans Eingemachte geht’s nach einer Runde Gehirnjogging: ein Kreuzworträtsel, wo u.a. nach der „Farce der Liebe“ (3 Buchstaben) gefragt wird. Nach den Regeln dieser Aufgabe muss man aber zuerst ein Wort in der Angabe richtigstellen („Farce“ = „Farbe“) und dann die Lösung (=„rot“) hinschreiben. Da ich jedoch eine Aufmerksamkeitsspanne wie eine Eintagsfliege habe und ich mir den ersten Teil des Buchstabenaustauschens lieber erspare, brülle ich laut das Wort „SEX“ in die Runde, was meinen Status hier in der Klasse nicht wirklich verbessert: Ledige Mittfünfzigerin, underfucked. Kann mich bitte jemand erschießen?

Anschließend werden die Laptops samt Bücher und Taschen ausgeteilt. Meine Tasche riecht nach Rauch, Erbrochenem und Schweiß. Ich unterdrücke den ersten Würgereflex und schalte motiviert den Compi ein, auf dem sich 435 Schuppen befinden. DAS wird lustig! Es folgt ein E-Learning-Programm, bei dem mir erklärt wird, was eine Maus, eine DVD, ein USB-Stick und ein Notebook sind. Ja, sind denn die verrückt!, möchte ich laut aufschreien, MIR, einer der größten Influencer in der österreichischen Blogger-Szene, sowas zu erklären, ich habe immerhin 8 Follower und weiß mit technischen Geräten umzugehen…! Doch der nächste Dämpfer lässt nicht lange auf sich warten: PDA, CPU, IKT, PCI, AGP, dpi, EULA, xDSL, IM und VolP wird mir durch die zerzausten, abgeschmierten Kopfhörer in mein friedhofsblondes Köpfchen suggeriert und ich schaue mich mal aufgrund akuter Konzentrationsschwäche am Konkurrenztisch um: die erste Kollegin bohrt bereits hingebungsvoll in der Nase und eine andere, derer ich gewahr werde, gähnt mit nicht vorgehaltenem, offenen Mund und saugt somit 90% des verbliebenen Sauerstoffs des Klassenraums in sich hinein. Inzwischen lehrt mich die E-Learning-Stimme, wie ich virtuell ein Fenster maximiere, minimiere oder schließe. Zeitgleich erklärt die Kursleiterin sehr real die nächste Viertelstunde zur Pause und regt an, das richtige Fenster doch etwas zu öffnen. Das nennt man Praxisbezug.

Ich bin die erste, die auf den langen, leeren Gang schwebt – Knie und Kreuz leiden ja vom vielen Herumsitzen bereits heftig – und die Luft, die sich sonst in meinem Hirn befindet, dürfte in den Unterbauch gerutscht sein, weshalb ich mich einer außerordentlich lautstarken Flatulenz (steirisch für: Megaschaß) entledige, in der Hoffnung, dass die anderen KursteilnehmerInnen entweder noch im Klassenzimmer oder schon im Raucherkammerl verschwunden sind. Durch das laute Beben und die gleichzeitig erfolgte Detonation durch mein kleines Fürzchen kann das Architekturbüro, welches sich im selben Gebäude befindet und meine Aktion leider akustisch und olfaktorisch mitverfolgt, gleich ein paar statische Messungen durchführen. Dafür geloben sie Stillschweigen über meinen gesellschaftlichen Fauxpas. Eine Hand wäscht schließlich die andere.


Nach der kurzen Pause wieder völlig erleichtert zurück im Klassenzimmer, vorbei an den messenden Blicken der Konkurrenz, geht’s auch schon weiter mit der Berieselung: Wie melde ich mich bei einem Computer ab, wie spare ich Energie, wie fahre ich ihn herunter… gähn…. „hilfe, holt mich hier raus – ich bin ein Star!“, schreit es in mir und ich spüre, dass ich bereits ein ausgeprägtes RSI Syndrom (=Sekretärinnenkrankheit oder Mausarm) entwickle. Und Hunger, Riesenhunger. Ein Blick in die Runde sagt mir, den anderen geht’s nicht viel besser, denn eine Kollegin gießt sich gerade in einem Zug einen ¾ Liter Abnehmshake in ihren durchaus wohlproportionierten Körper, obwohl wir während des Unterrichts über der Schuppen-Tastatur ja gar nichts konsumieren dürfen und eine andere versucht sogar ihre Fingernägel zu essen – auch über dem Laptop. Es ist jetzt gerade mal 10:36 Uhr, ich höre dann nur mehr die Schlagwörter „OLE, XML, CSV, #DIV/0!, UNIX, und kbps“, dann scheine ich ohnmächtig zu werden. DAS merk ich mir nie, nie, nie und nimmer.

Als ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann, sind es nur mehr 6 Stunden und zehneinhalb Wochen bis zu den Ferien! Dies motiviert mich sehr und ich reiß mich mit einem facebook-Sprücherl wieder am Riemen: „Früher hatte ich ELAN, jetzt habe ich WLAN“, heißt es da und bald werde ich auch mit einem relativen Zellbezug, einer Funktionssyntax und einem primär vertikalen Achsentitel was anfangen können und vielleicht auch mal meine Sturmböen unter Kontrolle kriegen. Obwohl ich eigentlich eh alles kann und weiß. Eigentlich…

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