Nachtblind - von Hasen und Karotten
Es ist Ballsaison. Matura-Ballsaison, um genau zu sein. Jede Woche findet im Umkreis von ca. 70 km eine derartige Veranstaltung statt, die meine Kinder in den Bann zieht. Von jeder Schule scheinen sie plötzlich wen zu kennen und wenn nicht, dann wird eben entweder nur das Motto ausspioniert, die Polonaise inspiziert oder etwaige zärtliche Verbindungen anvisiert. Kurzum: irgendein Kind geht jeden Samstag auf irgendeinen Ball und „glüht vor“ – mit einem Tschippel Leute und bei uns im Haus. Im Normalfall kommt dann die ganze Partie selbständig an den Veranstaltungsort und von dort auch wieder heim.
Nicht
so letztens: Der Ball findet in einem riesigen Zentrum im Murtal statt, ich und
eine andere Mama erklären uns bereit, das angesoffene Gemüse in den Tanzsaal zu
chauffieren, zurück würden sie es schon irgendwie schaffen. Es fahren
schließlich Shuttle-Busse… kommt ihnen plötzlich vor, als es für einen
Rückzieher meinerseits aber zu spät scheint. Mir wäre lieber, nicht fahren zu
müssen, denn das war noch nie so meines: bei Dunkelheit an einen unbekannten
Ort zu kutschieren mit einem Auto voller hormongesteuerter und in fermentiertes
Obst getunkte Grünspäne.
Aber
ich bin tapfer und bereite mich auch gut darauf vor. Tage zuvor studiere ich
die Strecke bereits auf G-Maps, fahre im geistigen Auge die Kurven der mir
bekannten Teilstrecke ab und verinnerliche die unbekannte Reststecke über das
Satellitenbild am Handy. Als der Nachwuchs samt Freunden im Haus zum großen
Vorglühen eintrifft, ziehe ich mich dezent in mein Zimmer zurück und bereite
mich geistig und körperlich auf meinen Einsatz vor, nicht aber ohne zuvor noch
ein bisschen über die neuen Atompilzkopf-Frisuren der Burschen („low fade“) zu
stänkern und ein paar unnötige Witze in die glamouröse Runde der Mädels zu
werfen. Sie lachen alle peinlich berührt und freuen sich, wenn ich zeitnah die
Türe hinter mir wieder schließe.
Ich
beginne mein Fitness- und Wachbleib-Programm mit einer Runde Kaffee und Qi-Gong-Kugeln,
denn in Wirklichkeit wäre es für mich bereits höchste Eisenbahn, in den Pyjama
zu schlüpfen und den Matratzenhorchdienst zu starten.
Anschließend
ist ein Training mit den Thera-Bändern am Programm, man will ja schließlich während
der Autofahrt einen flexiblen Schulterbereich behalten. Mit einem kleinen
Beintraining fürs Gasgeben und Bremsen beende ich die Vorbereitungen. Im
Wohnzimmer steppt in der Zwischenzeit der Bär, raus aus meinem Zimmer trau ich
mich erst wieder, als ich gerufen und gebeten werde, meines Amtes zu walten.
Nun,
was soll ich euch sagen? Was danach folgt, ist gruselig. Da ich recht selten
fahre, weiß ich weder genau, wo man in der Dunkelheit im Auto das Innenlicht
einschaltet, damit sich auch die betrunkene Hinterbank anschnallen kann, noch
kenne ich mich so wirklich mit der Lüftung aus, denn die hat auf der Stelle zu
funktionieren, weil das Junggemüse eine dermaßen würzige Ausdünstung hat, dass
alle Scheiben blitzartig anlaufen.
Auch
sehr schwer ist es, die vielen unterschiedlichen grellen Lichter zuzuordnen. Ist
das nun eine Ampel, die plötzlich auf der Autobahn mitten aus dem Nichts
leuchtet oder bloß ein „Negativ-Smiley“ auf der Geschwindigkeitsmessung? Blenden
mich unzählige Autos mit LED-Leuchten im Rück- und in den beiden Seitenspiegeln
oder ist das nur ein einziges? Und wo ist eigentlich dieses verdammte
Veranstaltungszentrum?
Ich
bin etwas nachtblind, ich muss es gestehen. Der Verzehr von Karotten hilft da
ja angeblich, die hab ich in mein Fitness-Training leider nicht eingebaut.
Hasen zum Beispiel haben beim Nachtsehen klar einen Vorteil, oder – Achtung, es
folgt ein Witz aus den 70ern – „habt ihr schon mal einen Hasen mit einer Brille
gesehen?“
Die
Straßen werden immer schmäler und unbekannter, die Schilder immer dunkler und
unübersichtlicher, G-Maps schickt uns in die Pampa mit Umleitungsschildern und
Sackgassen und da es auch anderen so geht, drehen an jeder kleinen Feldkreuzung
ein paar Autos um, schieben hin und her und hoffen, dass sie nicht
zusammenstoßen. Es ist fast wie im Autodrom. Nur in Echt. Mit versteinerten
Eltern am Steuer, die mangels Carotins angestrengt in die tiefschwarze Nacht blinzeln.
Ich drehe in einer privaten Hauseinfahrt um und brauche nur vier Anläufe um die
richtige Abzweigung zu finden.
Anschließend
wird meine illustre Runde heil am Eingang abgeliefert, nicht aber ohne nochmals
den Insassen falsche Namen zu geben (ich seh‘ ja schließlich nicht, wer hinter
mir sitzt) und das auf dem Parkplatz herumirrende restliche Partyvolk beinahefast
zu touchieren. Außerdem merke ich erst jetzt, wie verspannt ich bin, mir kommt
vor, ich hab einen Kleiderhacken in den Schultern stecken, und die Beine fühlen
sich wie Schaumgummi an, während mein „Resting-Bitch-Face“ zur Hochform aufläuft.
Aber
ich will ja noch zurück in mein Bett. Einfache Sache, könnte man denken, weil
man die Strecke bloß retour fahren müsse. Doch weit gefehlt! Nur mit einem
dicken Schutzengel lande ich nicht in Kärnten, sondern bin eh wieder Richtung
Heimat unterwegs, jedoch verirre ich mich in einem kleinen Dorf, von dem noch
niemand was gehört hat, die Straßen werden einspurig, ich muss allen
entgegenkommenden Fahrzeugen ausweichen oder sogar vor der „Frisöse Dorli“ und
der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr im Stockdunkeln zwischen unnötig im Weg
herumstehenden Blumenkisten reversieren. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob
ich nicht zum Geisterfahrer mutiert bin und ob mein niedriger Benzinpegel mich
noch nach Hause bringt. Ich war schon mal entspannter.
Ein
Autobus, ein schlecht beleuchtetes Moperl, drei unbebrillte Feldhasen und ein
Fuchs, der den Karnickeln hinterherläuft, durchkreuzen meinen Weg, die Füße
schlottern, die Hände zittern, alles trainieren und mental darauf einstellen
waren für die Katz‘.
Aber
ich schaffe es gut und unverletzt nach Hause. Bis in meine Einfahrt. Denn dort
bleibe ich mit dem Schuh an der Autotür hängen und lande mit dem Kopf direkt in
den gefrorenen Karotten meines Hochbeetes.
Ich
hätte im Sommer mehr davon ernten und essen sollen, das wird mir in diesem
Moment schmerzvoll klar. Aber Hauptsache, das junge Gemüse hatte eine
rauschende, unvergessliche Ballnacht. Gern geschehen.
Wie immer ein Traum und natürlich lachen ohne Ende🤪LG aus Kärnten
AntwortenLöschenDanke! Grüsse zurück nach Kärnten!
AntwortenLöschenEine tolle Geschichte, wieder einmal voller Schmackes. Es wäre toll, wenn Karotten, nicht nur gegen Nachtblindheit, sondern allgemein nützen würden, um auf eine Brille zu verzichten. Aber da dem leider nicht so zu vertrauen ist, hilft wohl am Ende nur die Brille oder lasern.
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