Die Laus auf meiner Leber
Mein Shiatsu-Praktiker hat meinen Leber-Meridian behandelt und mir dringend geraten, mich weniger zu ärgern. Und das geht folgendermaßen:
Nachdem ich
vor einigen Wochen durch das Überknöcheln beider Haxen bewiesen habe, dass auch
ich ein „gefallenes Mädchen“ sein kann, versuche ich nun wieder langsam aufs
Pferd zu kommen. Oder zumindest ins Auto. Hierzu schlucke ein paar Tabletten,
die einen sind gegen dieses Zipperlein, die anderen für jene Kalamität. Mit
verbundenen und zugeschnürten Fesseln in den stabilsten Schuhen, die ich
besitze, wage ich es eine Ausfahrt zu machen. Und es geht! Ich bewege mich
tastend raus aus meiner Siedlung und schaue wieder ein bisschen über meinen
Suppenschüsselrand. Es gefällt mir. ALLES gefällt mir plötzlich.
Die
aufgemotzte Rotzbubenschleuder neben mir samt peinlichem Midlife-Crisis-Fahrer,
der den Arm lässig am offenen Fensterrahmen abwinkelt und im Rhythmus
irgendeines Beats noch viel peinlicher mit dem Kopf wippt; der SUV hinter mir,
der schon fast in meinem Kofferraum mitfährt, weil er seine vermeintliche Potenz
beweisen will und selbst das gerade noch in letzter Sekunde in die bereits
dunkelgrün blinkende Ampel einfahrende und mich somit am Weiterfahren
behindernde Auto. Ach, sollen sie doch alle sein, wie sie wollen….
So lieb sind alle
und alles, gar nicht zum Ärgern, wie sonst immer. Meine Leber arbeitet brav.
Ich
beschließe, in den örtlichen Baumarkt zu fahren, um ein paar Kleinigkeiten zu
besorgen, mal sehen, ob mich meine Füße sowohl hinaus in die Gartenabteilung,
als auch in Reihe 26, zu Regal 4.356 tragen. Dort würde ich nämlich einen Nagel
(oder nimmt man da eine Schraube?) samt Dübel suchen und nach einem gefühlten
Halbtag und 5,3 Kilometern Fußmarsch auch finden – dies sei schon mal
vorweggenommen.
Das auch auf
meiner Liste stehende Fliegengitter ist schnell eruiert, ich kaufe siegessicher
die falsche Farbe und Größe, man gönnt sich ja sonst nix. Mit Zahlen hatte
ich’s noch nie, auch nicht mit dem Abschätzen von Fensterdimensionen.
Geschenkt. Läuft bei mir. Ich ärgere mich auch nicht über die Leute, die mir
mit ihren Rieseneinkaufswägen fast an die Wadln rempeln, weil sie rücksichtslos
hinter mir herfahren oder um die Ecke schießen, mir gefällt es, wie sie sich
vordrängeln wie die Kindergartenkinder, nur um als erstes bei der Verkäuferin
zu sein. Ach, wie ist das heute alles schön.
Aber dann: Wo
sind die Schrauben und die Nägel, wo die Dübel? Ich galoppiere mal los, setze
jeden Schritt bewusst, damit es mich nicht wieder aushakt, lese auf den
Hinweisschildern, suche, schnuppere, biege links hinein, biege rechts hinein
und finde tatsächlich nach einer halben Ewigkeit die Abteilung mit dem
Kleineisen.
Dort beginnt
meine Misere aber erst so richtig: erstens befinden sich hier nur mehr Männer,
die offenbar zielgerichtet zu dem hinsteuern, was sie suchen und zweitens – ich
traue meinen Augen nicht – die Sachen werden hier abgewogen. Wie in der Obst-
und Gemüseabteilung! Die Mannsbilder verpacken ihre Nägel liebevoll in kleinen
Plastiksäckchen und lassen eine kleine Wage samt Computer ihren Preis
errechnen. Ich bin verloren! In dieser testosterongeschwängerten Luft wird mir
erstens ganz anders zumute, zweitens wollte ich doch nur einen kleinen Nagel,
ähm… oder eine Schraube oder irgendwas mit einem Dübel eben. Ich sichte einen
Verkäufer, er entwischt mir diesmal nicht und beginnt erneut mit mir von einem
Gang zum anderen zu laufen, während ich zu tun habe, mit seinem Tempo
mitzuhalten und wir mehrfach von Kunden angerempelt und angesprochen werden.
Irgendwann führt mich das Goldschätzchen dann auch wirklich zum richtigen
Produkt und erklärt mir ganz abschätzig, dass man für einen Nagel niemals einen
Dübel verwendet. Weiß ich das jetzt auch. Ich liebe ihn.
Ich zahle
brav und wundere mich ob der Höhe der Rechnung. Sind das jetzt wieder alles
Schilling oder noch Euro? Ärgern tut
mich aber auch das nicht. Immerhin kann ich wieder halbwegs gehen und sogar reiten
– ähm – oder besser gesagt Autofahren.
Auf der
Heimfahrt, wo man mir zweimal den Vorrang nimmt, fällt mir ein, dass ich das
Brett für den Garten, weswegen ich eigentlich einkaufen gefahren bin, vergessen
habe und somit auch alle anderen Besorgungen für A und F waren. Trotzdem bin
ich gelassen. Was soll’s?
Ich höre die
Nachrichten im Auto, alles geht den Bach runter: Krieg, Pandemie, drohendes
Blackout, Energiekrise, Intoleranz, psychische Störungen, Personalmangel,
Pflegenotstand, Bienensterben, Bodenversiegelung, Gletscherstürze, Amokläufe,
Inflation - und dann noch diese Queen ….!
Ah geh, so
schlimm wird’s schon net sein, denk ich mir, wieder in meiner Komfortzone zu
Hause angekommen und erkenne es mit Schrecken: Ärgern tut mich nichts und niemand
mehr und alles is mir wurscht. Das kann so nicht bleiben!
Ich muss
dringend wieder mit diesen Tabletten aufhören und stattdessen mehr fermentierte
Trauben und Hopfensaft schlucken. Schließlich will ich die Laus auf meiner Leber bald wieder zurückhaben.
Köstlich, super geschrieben
AntwortenLöschenVielen Dank! :-)
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