(N)immer der Nase nach
Nun ist es
also soweit. Jahrelang haben wir darauf hingearbeitet, jetzt fällt von meiner
Familie einer nach dem anderen sowohl aus als auch um: ein bisschen Rotz und
Spucke in die adäquaten Gefäße verteilt, ein paar rote Stricherl hier, ein paar
behördliche E-Mails und Anrufe dort und ehe wir uns versehen, sind wir Vier ein
Teil der täglich verfolgten Statistik an Covid-Neuinfektionen. Be part of it. Dabei sein und nicht nur zusehen. Das ist
das Motto.
Tag 1: Ich
fühl mich pudelwohl, ein bisschen schlapp vielleicht, könnte aber auch am
Frühling liegen, sicherheitshalber lasse ich mich im Zuge meiner morgendlichen
Stadtrunde testen. Anschließend zum Frisör, zum Bäcker, ins
Lebensmittelgeschäft und auf die Bank. Zuhause putze ich noch den Teppich, den
ich noch nie geputzt habe, bringe das Altglas weg, wasche Wäsche, koche, gieße
Blumen. So Zeugs eben. Sachen, die nichts wert sind, weil sie nicht bezahlt
werden. Abends lege ich mich zufrieden ins Bett und freue mich auf meine
Vorhaben, die ich diese Woche noch auf dem Radar habe.
Tag 2: Ich
wache mit Halskratzen und mehreren Handypiepsern hintereinander auf: Steiermark
testet, Österreich testet, Landesregierung, Bund und Bezirkshauptmannschaft,
Hinterzipfelspatschen und „für-ein-geeintes-Nasenbohren“ klingeln bei mir
herein, alle teilen sie mir mit, dass das Virus bei mir nachgewiesen wurde und
ich nun abgesondert werde. Abgesondert! Früher bezeichnete man mich wenigstens
noch als SEKRET(ärin), jetzt werde ich bloß mehr ABGESONDERT! Zur Vorsicht lege
ich mich mal ins Bett, werfe mich in den Pyjama und freue mich auf ein paar
gute Krimis. Die Hausarbeit mache ich noch nebenbei, drängt sich aber nicht
besonders in den Mittelpunkt, denn ich habe offensichtlich mein Näschen für sie
verloren. Ob es in den Mülleimern schon stinkt, oder nicht, bleibt ein
Geheimnis.
Tag3: Erst
jetzt realisiere ich es so richtig: 10 Tage keinen BH. Freiheit pur. Free your
boobs! Im selben Moment wird mir aber auch klar: es hat mich erwischt. Aber
sowas von. Aus dem anfänglichen Halskratzen hat sich eine ausgewachsene Grippe
entwickelt, ich habe Schüttelfrost, der am Nachmittag in Fieber übergeht, ich
huste, bin schlapp, der Schädel brummt. Und ich trinke Tee. Niemals trinke ich
Tee. Ich hasse Tee. Doch jetzt trink ich ihn. Und er tut mir gut und schmeckt
mir. Verdammtes Covid! Ich sage alle Termine in den nächsten 10 Tagen ab,
darüber bin ich sogar irgendwie froh, bis ich realisiere, dass diese alle nur
aufgeschoben sind, keineswegs aber aufgehoben. Und ich denke an die Frisörin
von vorgestern. Wie es der wohl geht?
Tag 4: Die
Ohren stechen, die Nase rinnt, der ganze Körper schmerzt. Die Gebeine, die
Muskeln, die Sehnen – was weiß ich. Ich kann nicht mehr liegen. Nicht auf dem
Rücken, nicht auf der Seite und nicht am Bauch. Stehen, sitzen oder gehen ist
aber auch nicht lustig. Fernsehen geht. Irgendwie. Ich ziehe mir Sozialpornos
und Trash-TV rein - ohne mit der Wimper zu zucken. Sonst schau ich das zwar
auch, das würd‘ ich aber niemals zugeben. Und immer mit schlechtem Gewissen.
Dieses ist nun weg. Ich darf!
Tag 5: Ich
habe mir einen fixen Fernsehrhythmus angewöhnt: Die Rentnercops, die
Rosenheimcops, 4 Frauen und ein Todesfall, Seinfeld, Frauentausch, 2 and a half
men, the big bang theory. Und dann alles wieder von vorn. Und auf anderen
Programmen. Und die Wiederholung der Wiederholung und das best of und die
Classics. Riechen und schmecken tu ich schon lange nichts mehr, nichts desto
trotz habe ich ungebrochenen Appetit und schaufle Sachen in mich hinein, die
mich zwar nähren, mich aber nicht befriedigen. Alles weg.
Tag 6: Ich
habe keine Ahnung, welcher Wochentag ist, ich frage die Kinder. Sie wissen es
auch nicht, weil wir alle darniederliegen. Wir versuchen miteinander Essbares
auf den Tisch zu bringen, danach verschwinden wir für Stunden in unseren
Löchern. Ich habe keine Ahnung, wie das Haus mittlerweile riecht. Sehen tu ich
Riesen-Lurch-Wutzerl auf den Stiegen, die irgendwie immer lebendiger werden,
die nicht entsorgte Fischdose hat keinerlei Odeur, die Biotonne stinkt nicht
mehr und auch ich erfreue mich keines besonderen Körpergeruches, obwohl ich im
Bad nicht wirklich oft vorbeischaue. Hach, wie ist das schön! Keine Sorgen
mehr. Das System hält sich offensichtlich selber aufrecht.
Tag 7: Jetzt
wird’s mir aber zu bunt, die x-te Wiederholung von den Rosenheimkops, den 14.
Liter Tee emotionslos in mich geschüttet, das Bett hart wie ein Brett,
keinerlei Ansprache von Freunden, und das Essen besteht aus wirr
zusammengefügten Resten, die weggehören. Schmecken tut es nicht, ich könnte
auch Schuhpaste essen. Jedoch steige ich keinen Zentimeter von meinen üblichen
Essgewohnheiten runter, ich halte meine Mahlzeiten genauestens ein und werde
erst am letzten Tag die Zunahme meines Umfanges bemerken, wenn ich wieder in
ein richtiges Gewand schlüpfe – dies sei schon mal vorweggenommen.
Tag 8: Das
Verschwinden der Gliederschmerzen steigt proportional mit der Zahl der kleinen
Staub-Lurch-Ableger im Stiegenhaus, hinter dem Fernseher und in der Küche. Dort
gesellen sich auch noch Speisereste der letzten Woche hinzu, was meinem
ansonsten eher schleifenden Gang ein gewisses aufregendes Knirschen verleiht.
Meine Haare haben keine einzige Locke mehr, Roll Ons werden überbewertet, aber
BHs! BHs sind doch wirklich eine feine Sache, das merke ich erst jetzt: sie
halten an der Vorderfront alles zusammen. Meine Boobs sind sonst ganz verloren.
Die wissen nicht wohin, es weist ihnen keiner den Weg. Und nein, ich habe kein
Fieber mehr. Dies sind meine ganz normalen Gedankengänge.
Tag 9: Das Altglas stapelt sich erneut in der Kiste, das
Plastik quillt über, die Biotonne ist randvoll, riecht aber komischerweise
immer noch nicht, die Fischdose steht immer noch herum und ich bin schwindelig.
Versuche ein paar Handgriffe zu erledigen, es dreht mich wie im Wurstelprater,
die Beine schmerzen, als wäre ich laufen gewesen (als ob ich schon jemals
laufen gewesen wäre, aber das sagt man halt so!) Im Laufe des Tages wird das
Teegekoche eingestellt, ich widme mich einer ausgedehnten Körperpflege samt
Klauenschnitt und mache erste Schritte in den Garten. Zwischen meinen Fingern zerreibe
ich ein paar Kräuter, schnuppere daran – vergebens! Da ist nix mehr. Kein Duft.
Ich rieche nix. Ich schmecke nix.
10. Tag:
Jetzt geht das ganze Theater wieder von vorne los, denke ich mir, während ich
jene Termine, die ich zuvor absagte, wieder mühselig telefonisch zu erneuern
versuche. Mein Zahnarzt ist inzwischen übrigens in Pension gegangen. Langsam räume ich den Müll aus meinem Haus und begrüße die
Lurch-Kompanie auf den Stiegen. Für die fühle ich mich noch nicht gewappnet
genug. Meine Teevorräte verbanne ich in den hintersten Winkel der Küche –
igitt! – und kochen tu ich uns ein gutes Supperl, völlig ohne Geschmack.
Wo ist der
Duft von frisch gekochtem Essen, wo der meiner Kinder? Ich rieche sie nicht
mehr, auch nicht das Deo, von dem sich die Teenager immer zuviel rauf tun. Beim
Lüften kommt kein Geruch von frisch gebackenem Brot aus der nahen Backstube, Ich
rieche die Erde nach dem Regen nicht und der frisch drapierte Rindenmulch vom Nachbarn
lässt mich kalt, von den ersten Frühlingsblumen und dem Gegrillten überm Zaun ganz
zu schweigen. Und was das Schlimmste ist: ich kann mich auch selbst nimmer
riechen.
Aber dann, oh
Jubel, oh Freud! Ein paar Tage später steigt mir das erste Mal was in mein
Näschen: die Jauchenfuhre vom Bauern auf dem Feld hinter mir, ein Gestank, dass
die Hälfte genug wäre, befreit mich offensichtlich von dieser hinterfotzigen
Krankheit. Und plötzlich ist alles wieder da: der Schweißgeruch der Sportschuhe
im Garderobenschrank, die Abgase der wie irre fahrenden Autos, der beißende
Hausbrand-Geruch von nebenan, der Rülpser eines Bekannten und sämtliche
Fürzchen aus der Nachbarschaft. Ich rieche die alte Fischdose, den Biomüll und
das verstopfte Abflussrohr.
Ich bin
wieder da! Und frage mich: hat’s bei uns immer schon so gestunken?
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