Alleine reisen – nur was für Loser ?

 Eine Reise in den Süden steht ins Haus. Venedig soll es sein. Und allein will ich sie erobern, die Lagunenstadt, die Königin der Adria, die Serenissima. Niemand, nach dem ich mich richten muss, keiner, der mich nervt, ich kann tun und lassen, was ich will, ich esse, wenn ich Hunger habe, ich schlafe, wenn ich müde bin, ich schaue mir an, was ich will. Oder doch nicht?

Auf Solo-Pfaden zu lustwandeln hat durchaus seine Vor- und auch Nachteile. Ein Vergleich in 8 Kapiteln.

1)

Mit dem Zug gondle ich nach Kärnten, danach geht es laut Fahrplan mit dem Bus weiter, der Zug hat bereits in der Steiermark eine Verspätung, dass die Hälfte genug wäre, mir geht mein Allerwertester auf Grundeis, da ich bange, den Anschlussbus nicht zu erreichen.

Für eine Reisebegleitung spricht: Wir hätten gemeinsam Späße über die Situation oder Witze über die möglichen worst-case-Szenarien machen können, wie z. B. dass man am End noch in Kärnten übernachten müsse, um danach lauthals darüber lachen (Steirer und Kärntner – das ist ja so eine Sache…)

Contra Reisebegleitung: vielleicht hätte sie sich noch mehr als ich angeXXXXen, weil sie so gaaaar nicht nach Kärnten will und somit zusätzlichen Stress gemacht. Dann hätte ich zweifach die Kacke am Dampfen gehabt.

2)

Eine deutsche Touristin, mit der ich bzgl. der Tickets ins Gespräch komme, verwechselt die schaukelnde Vaporetto-Haltestelle mit dem eigentlichen Wasserbus, bemerkt zusätzlich noch, dass sie „in die falsche Richtung wartet“ und pascht mit Riesenschritten mit MEINEM Koffer ab, bis ich sie hysterisch zurückpfeife.

Pro Reisebegleitung: Sie hätte der Frau nacheilen können, während ich in Panikstarre auf der wild schaukelnden Haltestelle blieb und nur laut schrie.

Contra Reisbegleitung: Was brauche ich jemanden mit flinken Beinchen, wenn ich selber einen guten Riecher, eine schnelle Reaktion und eine durchdringende Stimme hab, sodass besagte Dame nicht weit kam, ihren Irrtum einsah und mir schallend lachend meinen Koffer wieder retour brachte.

3)

Ich beziehe mein Einbettzimmer im Hotel, habe meine selige Ruhe, kann mich kleiden wie ich will, kann rülpsen, wann ich will und schnarchen, dass sich die venezianischen Balken nur so biegen.

Pro Reisebegleitung: Es wäre schön, mit jemanden zu reden, die Eindrücke zu teilen, das Erlebte Revue passieren zu lassen, zu lachen und eine Gaudi zu haben.

Contra: Kein Gequassel, kein Geschnarche von jemand anderem, kein Mithören der Stoffwechsel- und Verdauungsvorgänge, keine Haare im Waschbecken und Düfte im Bad. Licht aus, wann ICH will, Licht an - ebenso.



4)

Ich trinke am Markusplatz, illegal auf einer Marmorstufe sitzend, aus einer vollen 1,5 Liter Flasche, wobei mir ein erster Schwall des Inhalts mit voller Wucht in die falsche Röhre kommt und ich zu ersticken, respektive ertrinken drohe. Nach ein paarmal vergeblich nach Luft schnappen und dem Gefühl, eine Klappe habe sich in mir geschlossen, die angeblich nur Babys haben, bekomme ich dermaßen einen Hustenanfall samt Tränen- und Rotzerguss, dass die Leute angewidert einen großen Bogen um mich machen.

Pro Begleitung: Sie hätte mir auf den Rücken schlagen können oder zumindest so tun, als ob sie mein Ungemach lindern wollen würde. Oder gleich die Rettung holen und mir eventuell in meinen letzten Atemzügen gut zureden.

Contra: Die Begleitung wäre ebenso hilflos und angewidert daneben gestanden und hätte mir später Vorwürfe gemacht, dass ich uns nicht nur ziemlich blamiert, sondern wir durch diesen Vorfall sehr viel Zeit für ein weiteres Sightseeing verloren hätten.

5)

In der Nacht überlebe ich einen Gelsenangriff nur knapp, den Gelsenstecker montiere ich zwar schlaftrunken, vergesse allerdings das Plättchen mit dem Duftstoff reinzugeben, wodurch ich ihn nutzlos, wenn nicht sogar gefährlich mache, da er in der Früh ein wirkungsloses Ding ist, das brennheiß in der Steckdose glüht. Die Gelsen sitzen darauf und schlecken sich ihre Rüssel mit frisch-saftig-steirischem Blut ab.

Pro Begleitung: Sie hätte eventuell sogar ein Hirn gehabt und das Plättchen geistesgegenwärtig reinstecken können.

Contra: sie hätte auch kein Hirn und wäre ein technisches Nackerpatzerl, dann hätten die Gelsen ein zweites All-inclusive-Buffet und leichtes Spiel gehabt, einen weiteren Zombie zu kreieren.

6)

Ein gutes italienisches Essen steht auf dem Programm. Ich bestelle mir Spaghetti und ein Mineral, bekommen tu ich von letzterem eine ganze Flasche. Eine sehr große. Die Venezianer sind sehr geschäftstüchtig, wenn man sich nicht klar ausdrückt. Ich trinke das Fläschchen beinhart aus, diese Blöße gebe ich mir nicht, dass der Kellner sich später ins Fäustchen lacht und meint, er hätte mich hineingelegt. Dass es mich anschließend fast zerreißt, ist eine andere Geschichte.

Pro: man hätte sich die Flasche mit der Begleitung problemlos teilen können, es hätte auch nicht ganz so blöd ausgesehen, wenn an einem Tisch mit zwei Personen ein ganzer Liter Acqua minerale steht, als wenn nur ein armes Hascherl alleine vor der Riesenflasche sitzt.

Contra: Die Begleitung hätte vielleicht eine Wasserallergie und würde – nur angenommen – ausschließlich Cola oder Bier trinken. Soll’s ja auch geben. Dann hätte ich dasselbe Problem wie oben beschrieben.

7)

Ich fahre mit dem Vaporetto durch den Canal Grande und genieße die prachtvollen Paläste und Bauten entlang dieser Wasserstraße, der Wasserbus schaukelt fast eine Stunde vor sich her. Irgendwann wird es mir zu viel und ich möchte aussteigen, trau mich aber nicht, eben weil er so stark schaukelt. Den Italienern scheint das nichts zu machen, sie telefonieren lautstark mit ihren Handys und schieben noch riesige Einkaufstaschen vor sich her. Da fällt keiner um, da hält sich keiner an. Ich hingegen habe massive Gleichgewichtsprobleme, es gibt auch kaum Möglichkeiten, sich anzuhalten, weshalb ich die schneeweißen Locken einer betagten, neben mir sitzenden Dame ergreife und mich an diesen festhalte. The lady is not amused – verständlich.

Pro: ich hätte mich zur Unterstützung gerade so gut bei den Locken meiner Begleitung, soweit vorhanden, anhalten können.

Contra: ich hätte mich auf meine Begleitung stützen können, diese mit zu Boden gerissen und separat noch die Locken der alten Dame erhascht, die nicht hielten, was sie versprachen.

8)

Venedig, du zauberhafteste unter all den Städten, du gequälte und missbrauchte, wie bin ich beseelt, dich wieder gesehen zu haben, dankbar, dass du mich mit deinem Zauber, deiner Eleganz und Glorie aufgenommen hast, du Königin und Diva. Mein Herz gehört dir!

Pro Begleitung: Sie hätte mich wegen meiner tollen Schlussworte angehimmelt.

Contra: Sie hätte eine andere Destination ausgesucht und wir wären nicht Teil jener 30 Millionen Jahres-Touristen gewesen, die diese Stadt in den Abgrund stürzen.

Vielleicht aber nur. Und deshalb bin ich alleine gefahren.

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