Rehab
Was soll ich
euch sagen? Ich bin auf Reha. Manchmal lässt man mich das tun. Drei Wochen
höchste Konzentration auf mich und meinen speziellen Körper, samt Erholung für
Geist und Seele. Das Essen wird mir vor meinen Suppenschlitz gestellt, der
Speisplan ist von höchster diätologischer Stelle ausgeklügelt, man kümmert sich
um mich, von der knallharten Muki Bude-Betreuung angefangen bis hin zu entspannenden
Massagen und Anwendungen. Und man lernt immer wieder schräge bis liebe Leute
kennen. So ist der Plan.
Und die
Realität? Befinde mich ungefähr in der Halbzeit dieses Unterfangens und kann
folgendes Resümee ziehen: man ließ mich im Ganglabor mit über die Knie
aufgestreifter Hose, Bergschuhen und Schienen auf den Unterschenkeln auf einem
Laufsteg, verfolgt von zehn (!) 3D-Kameras, gehen. Dabei sahen 3
Sportwissenschaftler auf 4 Bildschirmen zu, die Aufnahme wurde zudem auf eine
Riesenleinwand projiziert. Und das Leiberl musste ich in die Hose stecken, weil
sie mein Becken sehen wollten, die Herrn Wissenschaftler. Forrest Gump ist ein
Lercherlschas dagegen.
Das Essen
besteht aus dampfgegarten Riesenportionen, die, sobald man den Speisesaal
verlassen hat, im Bauch zu gären, gurren und blubbern anfangen. Nur mit viel
Glück erreicht man sein Zimmer, ohne mit Superknalleffekten den Lift oder das
Stiegenhaus beschallt zu haben. Am Dienstag konnte ich umfangtechnisch meinen
BH nicht mehr schließen, am Mittwoch bekam ich die Hose nicht mehr zu und am
Donnerstag konnte ich mich kaum mehr zu meinen Schienen und Bergschuhen
runterbücken. Gut ausgeklügeltes System. Wirklich.
Die Männer
hier befinden sich in einem Wettstreit, wer sein Ersatzteil kürzer in sich
trägt und kerzengerader geht als der andere. Der ist nämlich dann der Sieger.
Schwanzvergleich auf orthopädisch.
Und die
Frauen streiten sich im Lift, wenn eine Person mehr als erlaubt mitfährt, geben
ihren ganzen Lebensschmerz preis oder drehen sich angewidert ab, wenn die
Männer ihre Schw…ähm Hüft- und Knieprothesen vergleichen. Hurra, das ist eine
Gaudi.
Dahingegen
halten sich meine eigenen Fortschritte in der Muki-Bude sehr in Grenzen und das
Einüben eines neuen Gangmusters erfordert alle Konzentration von mir, sodass
ich alles rund herum vergesse, die Leute nicht mehr grüße, den Schlüssel in die
Unterhose stecke, mit den Fingern ohne Zange im Brotkorb wühle und meine Maske
vergesse.
Außerdem
merke ich mir sowieso keine Leute, da alle ja permanent verhüllt sind und ich
nicht weiß, wie der Rest des Gesichtes aussieht. Langsam prägt man sich ein
fremdes Gangmuster als Wiedererkennungseffekt ein oder man ist supergut und
erkennt die Leute an ihren Krücken. Wenn man aber wissen will, wie der Mensch
wirklich aussieht, muss man ihn googeln. Meine Physiotherapeutin ist Gott sei Dank
auf Facebook, jetzt kann ich mir ungefähr vorstellen, wer mich seit 2 Wochen
begleitet.
Auch eine etwas schräge Massage hab ich schon miterlebt. Die grenzwertige Konversation zwischen meiner Masseurin und den in der Nebenkabine
hantierenden Personen muss ich mir 20 Minuten lang anhören, Sie besteht aus dem
neuesten Tratsch einer steirischen Gemeinde. Zu meinem Unglück kennen sich alle
3 Leute und stammen aus demselben Ort. Jetzt weiß ich Bescheid, wer wann warum
gestorben ist, wer schlecht einparken kann, welches Fest ausfällt, wer kein
Geld mehr hat und wer mit wem ein Techtelmechtel hat. Manchmal überschneiden
sich die Charaktere, also oft ist derjenige, der vor kurzem noch Sex hatte,
jetzt schon pleite und neuerdings auch tot. Dagegen geht’s mir eh noch relativ
gut…
Und bei der
Elektrotherapie erklärt mir die Assistentin, dass ich nicht immer den BH
ausziehen müsse, obwohl ihr Kollege mich am Wochenende noch darum gebeten hatte,
„weil er die Pads sonst nicht so gut setzen kann“. Außerdem krieg ich ihn
ohnehin nicht mehr zu, meinen BH. Und mein Blutdruck ist kurz vorm
metabolischen Syndrom. Man hat mich deshalb in eine Entspannungsgruppe
gesteckt, wo ich mit jenen Frauen, die ihren ganzen Lebensschmerz auf den
Schultern umhertragen, ein kleines Stück Schoko essen darf, mir dafür aber 20
Minuten Zeit lassen muss, weil man dies bewusst genießen sollte. Ich bekomme
schon am Anfang eine Abmahnung, weil ich das Papier in meiner Gier zu schnell
aufreiße. Sonst kriegt man ja einen Krampf in den Fingern. Das kann auch nicht
gesund sein…
Nur noch die
Hälfte. Nicht vom Schoko, sondern von der Reha. Dann hab ich’s geschafft. Diesmal will und will es nicht so ganz flutschen.
Ich freue
mich auf zuhause. Auf meine geliebten Kinder, meine Freunde, auf mein eigenes
Essen, auf Gesichter, die ich mir merken kann und will und auf irgendjemanden,
den es nicht stört, wenn mein BH mal ein bisschen länger offenbleibt.
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