Weiber!

 

Eine Reise ist geplant. Eine Weiber-Reise, um genau zu sein. Sieben prächtige Frauen machen alljährlich einen Tagesausflug an irgendeinen schönen Ort. Und ich bin dabei.

Zuerst wird nach einem passenden Datum gesucht. Per WotSepp-Aussendung. Zurück kommen drei Avatar-Sticker, die irgendwelche Handzeichen geben, vier Smileys und ein paar Sätze, aus denen hervorgeht, dass sich die Terminsuche länger gestalten wird als angenommen: zwei haben in den nächsten sieben Wochen gar keinen Tag mehr frei, drei können nur an ungeraden Ferientagen, eine fährt bei Vollmond sowieso nirgends hin und einer ist es wurscht. Die hat keine Termine und immer Zeit. Die ist langweilig. Das bin ich.

Schon zwei Monate, 3.456 WotSepp-Nachrichten und 7 graue Haare später lässt sich ein gemeinsamer Termin fixieren, welch helle Freude! Auch das Ziel ist bald klar: die Landeshauptstadt soll es werden. Wir reisen mit der Bahn. Vier fahren mit dem Auto zum Bahnhof, eine weiß nicht, wie sie hinkommen soll, eine regt sich über das Wort „Weiber“ auf und eine steigt woanders zu, weswegen die sechs Verbliebenen einen Umsteiger-Bimmel-Zug nehmen müssen. Eine kümmert sich um die Tickets, scrollt und wischt tagelang in der ÖBB App herum, um den günstigsten Tarif zu bekommen und spricht persönlich am Bahnhof vor. Das bin ich. Drei helfen mit beim Scrollen und Wischen, eine hat auf einmal kein Internet und keine Zeit mehr, die anderen sagen zu allem „ja“ und „Amen“. Das gefällt mir.

Als die Reise in den frühen Morgenstunden losgeht, haben zwei Kopfschmerzen, zwei bibbern vor Kälte und ziehen sich dicke Mützen und Handschuhe über, eine braucht unbedingt einen Kaffee, die andere eine Zigarette, wieder eine telefoniert unentwegt mit ihren zurückgelassenen Kindern und eine stakst spastisch und mit Kreuzschmerzen die Stiegen hinauf und hinunter und verflucht ihren Zustand. Das bin ich.

Im Zug machen wir es uns gemütlich, wir fahren schließlich gute 2 Stunden. Eine stänkert über die reservierten Sitzplätze, einer bläst die Klimaanlage auf die Stirnhöhlen, zwei haben für ihre äußerst kreativen Taschenmodelle keinen geeigneten Sitzplatz, eine steckt sich Ohrstöpsel rein, damit sie den Gesprächen nicht folgen muss und eine hat schon nach einer Stunde Hunger und packt ihre Riesenjause aus. Das bin wieder einmal ich.

Eine lacht so laut, dass man es im Speisewagen noch hört, eine hat in jedem Tunnel eine Hitzewallung und tut dies lautstark kund, eine kotzt fast bei jeder Kurve, weil sie am Vortag zu tief ins Glas geguckt hat und zwei suchen das bestgepflegte WC des Zuges. Einer steigt ein Kind auf den rechten Fuß und eine ist gereizt. Das bin natürlich ich.

In Wien angekommen watscheln die 7 Landeier zur U-Bahn, kaufen sich brav und ohne viel Aufhebens ein Ticket und finden prompt den richtigen Ausgang nicht. Ein Illusionsmuseum ist geplant, stehen tuen die Pomeranzen aber schließlich vorm Bundeskanzleramt, weil sie machen, was eine gesagt hat. Das war ich. Zwei andere meinen, man müsse sich mehr rechts orientieren, zwei haben das Navi an, welches aber nicht synchron mit der Bewegung lädt, sondern uns immer im Kreis schickt, eine hat noch immer Kopfschmerzen, eine telefoniert wieder mal und eine raucht noch schnell. Wie der Bundeskanzler.

Schließlich finden wir unser Objekt der Begierde, während es zweien wieder bitterkalt ist, einer die Finger fast abfrieren, noch eine weitere Kreuzweh kriegt und zwei ein Häusl brauchen. Eine davon bin ich. Das gibt’s jetzt aber nicht, sondern eine lange Corona-Schlange, in der man nur zizerlweise vorrücken darf. Wir haben Glück und dürfen zu siebt ins Mini-Museum, wo man lustige Fotos mit optischen Täuschungen machen kann:

Zweien wird der Kopf abgerissen, drei fallen einem plötzlichen Zwergenwuchs anheim, eine pudelt sich auf, weil sie von Unbekannten fotografiert wird, dreien wird in einem geometrischen Mustertunnel schwindelig und eine muss mitten in einer Röhre umkehren, durch die die anderen unbeschwert und kichernd laufen, weil sie einer Ohnmacht nahe ist. Die bin ich.



Danach geht’s weiter zum Mittagessen. Die Reservierung im japanischen Restaurant hat nicht geklappt, es werden dennoch ein paar Gäste verscheucht und für uns ein Riesentisch freigemacht. Zwei können mit Stäbchen essen, drei verlangen ein Essbesteck, zwei sind froh, dass die drei eines bekommen haben und schließen sich hungrig an. Drei essen einen Krautsalat und haben anschließend Blähungen, derer sie sich im Lärm der Großstadt aber ohne viel Aufhebens entledigen können. Zwei haben eine Laktoseallergie, drei essen keine Kohlenhydrate, eine hat eine Histamin-Unverträglichkeit und zwei davon führen ein unappetitliches Tischgespräch und werden gerügt. Eine davon bin ich.

Anschließend steht noch ein Praterbesuch auf dem Programm. Bevor wir aber dort ankommen, kaufen sich drei eine Windbäckerei, eine verschwindet in einem Kleidergeschäft, eine braucht Kaffee und ward lange nicht mehr gesehen und zwei streiten sich beim Fotografieren, weil der Stephansdom schief ist. Im Prater verschwinden drei im Wachsfigurenkabinett mit George Clooney, Hans Moser und Udo Jürgens, zwei flirten mit Hans Krankl und Richard Lugner und die restlichen zwei setzen sich in ein Kaffeehaus und essen Wiener Leckereien. Ich bin keine davon. Ich züchte weiter mein Kreuzleiden, bin unrund, nasche meine Windbäckerei und lege mich bei Sigmund Freud auf die Couch. Er ist ein guter Zuhörer und sehr verschwiegen.

Zurück geht es hurtig in die Steiermark, nachdem wir ein Abschlussfoto gemacht haben. Sechs lachen lieb, eine hat die Zunge weit heraussen. Das bin jetzt aber wieder ich.

Im Zug langweilen sich zwei fast zu Tode, eine hat wieder ihre Ohrstöpsel drinnen, eine redet wie aufgezogen, eine hat ihre Hitzewallungen und eine verbringt sehr viel Zeit auf einer Dating App, weil die Männer da heute viel schöner sind als bei uns zuhause, nachdem das Handy erkennt, dass sie sich an einem anderen Ort befindet.

Als wir in unserem Heimatort ankommen, haben wir insgesamt 735 Fotos gemacht, 3 Millionen Wörter gesprochen, 453 mal gelacht, 23 Anekdoten erzählt, 5 schwere Krankheiten durchlebt, uns auf unsere Lieben zuhause gefreut und vier Riesenmahlzeiten gegessen. Ich zumindest.

Welch unglaubliche Kraft doch in so Weibern steckt! Und ich bin eine davon.

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