Knocked out

 

Knocked out.

 

Mein Kleiner, also mein Jüngster, ist mir über den Kopf gewachsen. Er und alles rund um ihn herum.

Gut, man weiß ja, dass die Jugend mit Computern, Handys und Social Media umgeht, als ob man sie schon mittels Muttermilch damit großgezogen hätte, aber dass dieser Kleine, mein Küken und Nesthäkchen, mich mal so ausknocken würde, war mir bis vor kurzem noch nicht bewusst.

So geschieht es, dass ich keine Deckel und Schraubverschlüsse mehr öffnen kann, die er zuvor einmal in seinen Griffeln gehabt hat. Das Kindergarten-Trinkfläschchen, das mittlerweile zu einer überdimensionalen Thermo-Clima-Air-up-Performance-Adventure-Urban-Bottle ausgewachsen ist, kann ich nicht mehr reinigen, weil ich den akribisch, mit festem Druck justierten Deckel nicht runter bekomm. Zuerst dachte ich an einen Rheuma-Schub in meinen Fingern. Nachdem ich die Symptome gegoogelt und mich vom schlimmsten Schock erholt hatte, holte mich mein Küken wieder aus meiner Panik raus und räumte ein, dass es vielleicht die Sachen wirklich unnötig streng zuschraube. Gott sei Dank! Kein Rheuma-Schub!


Für diesen festen Griff trainiert er scheinbar auch heimlich. Hat auf einmal Muskeln wie Arnold. Na ja, fast. Aber was vor kurzem noch wie Zwirnsfäden aus seinem T-Shirt baumelte, sind nun zwei gut konturierte Arme. Und unter seinem Bett – nicht, dass ich da stöbern würde! – fand ich jüngst ganz erstaunt einen Expander. Wann hat sich dieser Kerl den bloß zugelegt? Zu Weihnachten hätte ICH ihm diesen gekauft, berichtet er mir auf meine Anfrage hin. Ich googele nach ersten Demenz-Symptomen und werde unruhig. Wieso kann ich mich daran nicht mehr erinnern? „Stimmt eh nicht“, erlöst mich mein Witzbold-Küken nach drei Tagen Panikgeschiebe meinerseits. Er hätte ihn sich bloß von einem Klassenkollegen ausgeborgt. So ein Glück aber auch. Keine Demenz.

Und wenn ich schon lange im Bett liege, also so zwischen 20:45 und 20:53 Uhr, geht seit neuestem in der Küche ein wildes Treiben vor sich. Da wird er nämlich erst so richtig wach und hungrig, mein Kleiner, da beginnt er zu kochen. Mit Rezepten aus dem Internet. Und Zutaten aus meiner Küche. Beziehungsweise aus der Küche der Nachbarn. Denn stante pede müssen die ausgefallensten Lebensmittel (Eier zum Beispiel) greifbar gemacht werden und weil ja kein Geschäft mehr geöffnet ist um diese Zeit, wird die gesamte Nachbarschaft aufgescheucht. Während dies geschieht, befinde ich mich meist schon in der ersten REM-Phase und bekomme das Chaos erst am nächsten Morgen zu Gesicht, wenn ich nämlich um 5:13 Uhr aufstehe und die geschändeten Töpfe und Pfannen sehe, für deren Reinigung ich im eingetrockneten Zustand ganz schön lange zu werkeln habe. Dieses Spektakel hab ich tags zuvor wegen unfassbarer Müdigkeit leider nicht mehr unter Kontrolle. Die ersten paar Male dachte ich noch, ich habe eine schwere Krankheit, die mich abends so früh ins Bett zwingt, was mir auch Dr. Google bereitwillig bestätigte, nach längerem Nachdenken erkannte ich allerdings, dass es das tägliche frühe Küchenputzen ist, das mich so erschöpft heia machen lässt. Ein furchtbarer Teufelskreis. Aber Gott sei Dank keine schwere Krankheit…

Mein Kleiner hat mich überall übertrumpft, ich muss es gestehen. Er hat mehr Parfums und Duschgels als ich, sein Fahrrad ist fast so viel wert wie ein gebrauchter Mittelklassewagen, seine Schuhe sind doppelt so groß wie meine – und ich habe keine kleinen Füße! – er schlägt mich täglich in einer Quiz-App, er bringt mich mit seiner Fragerei in Sachen Wetter, Klima und Politik zum Haareraufen – und ich habe viiiiiele Haare! – und er hat mehr Ahnung vom aktuellen Weltgeschehen als ich, spricht besser Englisch und Französisch, hat einen noch schwärzeren Humor als ich und überzuckert die verfahrensten psychischen Kalamitäten im Freundeskreis in Windeseile.

Knocked out. Auf allen Linien.

Aber in einer Sache bleibe ICH der Champ: im Erfinden und Heraufbeschwören von Krankheiten. Die tu ich nämlich googeln und binnen 2 sec hab ich sie auch schon.

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