FASTEN (your seatbelt)

Gürtel enger schnallen - FASTEN your seatbelt


Aschermittwoch


Fastenzeit. Entschleunigen, zu sich finden, gesund leben, verzichten, zum Wesentlichen zurückkommen, Unnötiges weglassen, sein lassen, loslassen, auftanken – ja, ja, ich weiß, klingt eh alles super! 40 Tage, 7 Wochen, Sonntage ausgenommen. Aber fangen wir mal beim Aschermittwoch an. Ein strenger Fasttag sagen Religion, Kirche und der Vati. Und die Oma hat’s auch immer gesagt. Nun, was bleibt mir dann anderes übrig, als mich ins allgemeine Gedöns einzufügen.

Bei mir ist es aber nun so, dass ich alle 2-3 Stunden etwas essen muss, ansonsten wird es unangenehm. Erstens für mich und zweitens für die anderen, mutiere ich dann nämlich nicht bloß zur keifenden Diva, sondern verliere viel mehr unglaublich an Energie, vergleichbar mit dem Nicht-Duracell-Haserl. Schweißattacken, Herzrasen und ein Tremor, der sich gewaschen hat, sind die lästigen Begleiterscheinungen. Ich bin keine Frau, die sich „an Salot“ bestellt und mit schlechtem Gewissen wie ein Hase darauf rumnagt, ich bin eine, die ihre Speicher auffüllt – oft bis zum Zerbersten. Deshalb beschließe ich, mich weniger aufs quantitative Speisefasten zu konzentrieren, sondern viel mehr auf Dinge, die mir besonders schmecken und die ich eigentlich das restliche Jahr über recht lasterhaft zu mir nehme: Schokolade und Wasabi-Nüsse und Rotwein und Kaffee mit viel Zucker und ähm…. Zigaretten und Bier und Gutserl und Chips. Das kann doch nicht so schwer sein, auf die paar Sachen zu verzichten…

6:30 Uhr: Frühstück, Kaffee gibt’s keinen, auch keinen Kakao, es steht ungesüßter Tee oder eine warme Milch auf dem Speisplan, dazu ein paar Butterbrote. Kein Gebäck, das ist zu gut, keine Marmelade, kein Honig, Wurst sowieso nicht. Guten Morgen! Ich esse 3 Stück Brot mit jeweils 2 cm Butter darauf, man braucht ja schließlich Kraft für den Vormittag.

6:45 Uhr: ich habe einen komischen Geschmack im Mund, ich möchte einen Kaffee. Ich putze mir noch einmal die Zähne, schlucke sogar versehentlich ein Stück Zahnpaste, wähhhh.

6:54 Uhr: habe schon wieder einen komischen Geschmack im Mund, jetzt sind nicht mal die Kinder noch aus dem Haus und schon rotiere ich irgendwie herum. Kraft hab ich ja noch genug von meinen Butterbroten. Immerhin.

7:20 Uhr: die Kinder sind in die Schule gegangen, ich streife mehrmals bei der Kaffeemaschine herum, schleiche vorbei, sehe sie mir an – sieht sie nicht herrlich aus!? Ein Prachtexemplar, das ist mir noch gar nie so aufgefallen. Wie es da wohl im Inneren riecht? Sollte ich mal den Kapsel-Slot öffnen, nur um zu erahnen, wie so ein Kaffee am Morgen wohl duftet. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern. Reiß dich, zamm, Chrisserl, schießt es mir durch den Kopf und ich denke an den Herrn Jesus. Der hat das auch durchgehalten in der Wüste. Da hab ich eh noch a Glück in meiner wohltemperierten Küche mit meinen 73 gr Butter im Wamperl.

7:35 Uhr: Heut krieg‘ ich aber auch gar nix auf die Reihe, ich lege mich zur Vorsicht mal wieder zurück ins Bett und überdenke nochmals meinen Fastenplan. Außerdem seh ich vom Bett aus die Kaffeemaschine nicht.

8:30 Uhr: Jetzt werd‘ ich irgendwie schwach, um nicht zu sagen, schwindelig. Meine morgendliche Turneinheit werde ich wohl heute ausfallen lassen müssen, weil man will ja schließlich nicht zu viel Energie auf einmal verschwenden, der Tag kann ja noch lang werden! Und frisieren ist wohl auch vertane Liebesmüh‘, von der Entsorgung der sandmännlichen Augenrammerl will ich gar nicht reden, also lasse ich den Weg ins Bad. Wieder was gespart.

Wenn du fastest, pflege dein Haar und wasche dir das Gesicht wie sonst auch, damit die Leute dir nicht ansehen, dass du fastest; nur dein Vater, der auch im Verborgenem gegenwärtig ist, soll es wissen. Mt 6

9:00 Uhr: vielleicht sollt ich mal das Frühstücksgeschirr wegräumen, ich zaudere kurz, schwinge mich ungelenk aus dem Bett und lasse einen lauten Schrei los, weil sich mein Kreuz meldet, marschiere dann aber tapfer wieder in die Küche, wo mich die Kaffeemaschine anglitzert und die Brösel auf den Tellern dazu verleiten, ein paar aufzupicken und schnell im Mund verschwinden zu lassen. Is ja schad‘ drum!

9:30 Uhr: Jemand spricht zu mir. Es ist Dany Sigel. Sie sagt „rrrrrrrrrröstfrisch“, immer wieder höre ich „rrrrrrrrröstfrisch“. Keiner kann das „R“ so rollen wie die Sigel. Aber warum hör ich das gerade jetzt? Ich glaub, ich geh jetzt mal eine rauchen, sonst dreh ich hier noch durch. Ups. Stopp! Mit Rauchen ist ja heute auch nix. Keine Zigarette. Kein Kaffee. Kein „rrrrrrröstfrisch“.

10:00 Uhr: Jetzt wird’s mir aber zu bunt. Wie lange dauert dieser Tag denn heute noch? Ich bin schon ganz schwach, hab immerhin noch nichts Gscheites gegessen, geschweige denn getrunken. Das hält ja kein Mensch durch!

10:14 Uhr: Aber warum nehme nur ich das so streng, ich sollte mal etwas lockerer werden, kein Mensch in meiner Umgebung führt sich so auf wie ich. Und Kaffeefasten? Was soll dieser Blödsinn überhaupt? Und wer hat da was davon?

10:32 Uhr: Jetzt muss ich aber was essen! Das hat ja alles keinen Sinn! Ich nehme mir eine Bananenmilch. Das ist legitim. Ein bisserl süß zwar, aber doch gesund, oder? Ich werfe 3 Riesenbananen in den Mixbehälter und der Stab hat zu kämpfen, dass er die Runden fertigdreht, soviel Inhalt ist da zu bewältigen. Aber ich brauche schließlich Kraft an so einem Fasttag!

11:00 Uhr: Woutti! Jetzt wird die Sache schon grenzwertig! Hardcore, sozusagen. Dany Sigel hat sich zu einem Permanent-Tinnitus ins Ohrwaschl gesetzt und zirpt mit hellem Stimmchen „rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr“

11:45 Uhr: Vielleicht schau ich ein bisschen fern. Dazu lege ich mich kurz auf die Couch, bin irgendwie noch immer schwach. Diese Essensreduktion fordert ihren Tribut. Ich muss nicht erwähnen, dass gerade auf 17 von 46 Kanälen Werbung läuft. Und was wird da um die Mittagszeit gesendet? Haftcremes für Zahnprothesen und Rheumasalben sind es nicht. Aber Essenswerbung: Luigo Pizzi und JummieJummie haben was Neues erfunden, das Maier Mousse au Chocolat fließt nur so den Gaumen runter, Pierce Postmann kocht Schrimps vom Spar, die Triplo-Praline wird in der U-Bahn ausgeteilt und was weiß ich noch was für ein Unfug. Gut, dass Zigarettenwerbungen inzwischen verboten sind. Der Marlboro-Man, der wär jetzt was…den würd ich nicht von meiner Bettkante stoßen….

13:03 Uhr: Ich muss mich wirklich aufraffen und was kochen, schließlich kommen die Kinder bald heim, denen ich übrigens ans Herz gelegt habe, sie mögen doch heute auch versuchen, wenigstens auf Naschzeug zu verzichten. Aber wie komm ich jetzt wieder ohne Kreuzschmerzen von der Couch hoch? Ich versuche es über einen Seitstütz, die Bauchmuckis flattern. Dann koche ich eine Erdäpfelcremesuppe. Das ist ok für einen Couch-Potato. Eine bodenständige Fastensuppe. Mit einer Packung Sauerrahm und 18 Löffel Öl zum Zwiebelanschwitzen. Und ein paar Stück Brot dazu. Oder so. Und einen Salat. Mit ein bisserl steirischem Kernöl. Das wird man wohl noch dürfen. Ich muss mich immer wieder an der Arbeitsplatte in der Küche stützen, so schwach bin ich schon….Dazwischen reiß ich den Kühlschrank auf und rieche am Wurstpackerl. Einen Lungenzug mit Salami – jawui!

13:50 Uhr: so ein Zigaretterl nach dem Essen…. Oder so ein Kaffee…. Das wär doch was, nicht? Ich überleg mir, ob ich nicht einen Nachmittagsspaziergang machen sollte und dabei als Vorwand irgendwas an der Tanke kaufe, denn da drinnen riecht‘s unheimlich nach Rauch, da ist ja ein angeschlossenes Café und da könnt ich dann drinnen stehen und mal so richtig durchatmen. Und mir eine durchziehen. Die volle Yogaatmung: Zuerst in den Brustkorb, bis er sich an den Flanken weitet und dann weiter hinunter, ganz tief hinein in den Bauch. Eh nur passiv. Ja, bist denn du noch zu retten, denk ich mir noch, und krieg irgendwie zeitgleich auch schon Kopfschmerzen. Linke Gehirnhälfte. Das muss der Entzug sein.

14:34 Uhr: Bin voll auf Turkey. Der Schädel schmerzt, ich kriege Schweißhände. Das kann nicht gesund sein. So gut wie nichts gegessen heute und keinerlei Aufputschmittel. Das wird den Herrn Jesus jetzt aber auch nicht sonderlich glücklich machen, wenn’s mir so schlecht geht. Der Bauch vibriert, das Kreuz zieht, die Sigel zirpt „rrrrrrrrrrrrrrröstfrisch“. Ich muss mich erneut hinlegen.

Ist das vielleicht ein Fasttag, wie ich ihn liebe, wenn ihr auf Essen und Trinken verzichtet, euren Kopf hängen lasst und euch im Sack in die Asche setzt? Nennt ihr das ein Fasten, das mir gefällt? Nein, ein Fasten, wie ich es haben will, sieht anders aus! Jes 58

15:00 Uhr: Eine WhatsApp-Nachricht von einer Freundin: Ob ich denn heute zum Heringsschmaus mit anschließendem gemütlichen Beisammensein bei Bier und Wein Zeit und Lust hätte. Zeit und Lust, schreibt sie, diese Henne! Was bildet die sich eigentlich ein! So eine rotzfreche Göre, besitzt die Stirn und lädt mich ein! Mir schwindelt, ich wanke zurück auf die Couch, rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr, die zweite Gehirnhälfte beginnt zu schmerzen. Wie kann die mich einladen, wo ich doch heute nichts zu mir nehme, was mir schmeckt, wo ich doch heute eindeutig faste! Ich schreibe ihr eine geharnischte Kurzmeldung mit meiner Absage. Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr

15:34 Uhr: Die ersten Halluzinationen mischen sich mit der Realität – ich sehe einen Hering mit einer Zitrone im Maul, er liegt auf meinem Küchentisch. Und Majo! Alles voller Majo! Ich halte das nicht mehr aus! Ich muss etwas essen, am End kollabier ich noch, ich brauch doch die Kraft für meine Kinder und meinen Haushalt, weshalb ich mich erneut über den Seitstütz in die Vertikale befördere und mal schaue, was es in der Küche Neues gibt: das Geschirr türmt sich vom Mittagessen, die Kaffeemaschine hat eine Aura, von der ich hin und weg bin, auf einem Board liegen die Zigaretten, im Regal verströmt Schokolade einen süßlichen Duft und aus dem Kühlschrank strömt zarter Wurstgeschmack.

16:05 Uhr: Ich habe die Küche geputzt. Also, geputzt ist zu viel gesagt: ich habe das Geschirr in den Spüler geworfen und die Arbeitsflächen sporadisch abgewischt, während mich der Hering weiterhin anstarrt und Dany Sigel auch noch am Küchentisch Platz genommen hat. Jetzt übertreibt sie aber ein bisschen. Hoffentlich redet die nicht mit mir. Dann müsste ich nämlich einen Arzt konsultieren. Mein Kopf ist ein einziger Schmerz. Bin auf Entzug. Bin fertig mit mir und der Welt. Nur noch 39 Tage und 8 Stunden. Das wird doch wohl zu schaffen sein.

16:45 Uhr: Mir kracht der Magen, als mein Jüngster die Küche betritt und mit seinem zarten Stimmchen fragt: „Darf i Schoko-Pops?“ Himmel Herrschaft! Da ich mit meinen Kräften völlig am Ende bin, verkneife ich mir den Hinweis, dass dies kein grammatikalisch korrekter Satz ist, weil das Verb fehlt. Auch frage ich ihn nicht zum 40.000sten Mal, was er mit den Schoko-Pops wohl machen will: „verkaufen?“ „zerquetschen?“ „in die Luft hauen?“ oder vielleicht – wie es korrekt heißen würde: „essen“. Ich resigniere. Ich bin zu schwach. Ich erkläre ihm auch nicht, dass Schoko-Pops sehr wohl etwas zum Naschen sind und wohl kaum unter Gemüse einzuordnen seien. Sollen doch alle machen, was sie wollen. Mit mir geht es sowieso zu Ende….

17:30 Uhr:  Es wird dunkel. Ein Hoffnungsschimmer. Da darf man ja dann essen, oder? Verflixt, jetzt hab ich mich doch glatt in der Religion geirrt – ich besinne mich meiner christlichen Wurzeln. Aber man könnte doch … konvertieren…. Nach Sonnenuntergang mit dem Fasten aufhören, das wär’s doch jetzt. Ich muss mich da mal erkundigen.

18:03 Uhr: Zeit für ein kleines Abendessen: ich schmiere mir mit letzter Kraft – während ich auf einem Stuhl sitze – vier Käsebrote mit insgesamt 40 gr Butter und 75 gr Gouda. Zitternd esse ich, während ich Dany Sigel ein Schnittchen anbiete. Sie will aber nicht, sie verschwindet einfach. Als ob ich am Abend noch einen rrrrrrrrrröstfrischen Kaffee wollte – ha! Die soll woanders zirpen.

19:00 Uhr: Es ist stockdunkel draußen, ich gähne seit einer halben Stunde, während ich mir eine Sitcom nach der nächsten reinziehe, die Kopfschmerzen haben ihren Höhepunkt erreicht, ich denke, ich werde mich zurückziehen und ins Bett gehen. Von meinen Kindern verabschiede ich mich kurz, aber intensiv, ich drücke sie noch einmal fest und sage ihnen, wie gern ich sie habe und wie sie mein Leben seit Jahren bereichern und dass es schön mit ihnen war und dass sie jetzt womöglich sehr tapfer sein müssen und dann manövriere ich mich mit einem letzten Seufzer in mein Bett. Ich weiß ja schließlich nicht, ob ich noch einmal aufwachen würde, so geschwächt und am Boden zerstört wie ich nun mal bin...


Donnerstag, 4:46 Uhr:


Ich erwache. Ich lebe noch. Stolz bin ich auf mich. So eine Beherrschung braucht der Mensch, da könnten sich einige ein Scheibchen von mir abschneiden: mit nur 10 Broten, 3 Teller Erdäpfelcremesuppe, ein Dreiviertel Kilo Käse, 3 Bananen, einem halben Liter Milch, einer Schüssel Salat und einer halben Butterpackung musste ich 12 Stunden auskommen. Low carb Diät á la Chrisserl. Ich habe Bauchmuskel-Kater vom Couch-aufstehen und wieder niederlegen, schrammte knapp an einem Bandscheibenvorfall vorbei und litt unter Migräne, Tremor und Schweißausbrüchen, nebenbei habe ich eine Freundin beleidigt und meine Kinder verzogen. Das Haus schaut aus wie nach einem Bombenangriff, da ich unfähig war, auch nur die geringste Systemerhaltung zu verrichten, ich verzichtete auf mein Training, auf Bewegung, auf Frischluft und auf buntes, gesundes Essen. Habe 2 Kilo zugenommen.

Ich hatte meine Tiefen, ja, das geb ich zu. Aber hab ich einmal auch nur gejammert? Hat man mich einmal nur mein Leiden nach außen tragen sehen? Habe ich einmal nur geklagt oder Zähne geknirscht? NEIN! Definitiv NEIN.

Wenn ihr fastet, setzt keine Leidensmiene auf wie die Heuchler. Sie vernachlässigen ihr Aussehen, damit die Leute ihnen ansehen, dass sie fasten. Mt 6

Nur noch 39 Tage, denk ich mir, doch dann drehe ich mich auf die Seite und sehe Dany Sigel schnarchend in meinem Bett: „rchrchrrrrrrchrrrrrchrrrrrr“. Sie hat ein Nachthemd aus Fischschuppen und eine Zigarette im Mund!!!

Das ist der Moment, in dem ich beschließe, es für heuer mit dem Fasten gut sein zu lassen.

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